Mittwoch, 22. Februar 2023

Fortpflanzung ist biologisch. Die Liebe kam erst später dazu.

 B. Rivière, Zeus und Ganymed                     zuJochen Ebmeiers Realien zu öffentliche Angelegenheiten
aus welt.de, 22. 2. 2023

Von Anna Chiara Doil

... So hat sich das gesellschaftlich präferierte Modell der Zweierbeziehung erst vor etwa 10.000 Jahren durchgesetzt. Bis dahin lebten unsere nomadischen Vorfahren in egalitären Gruppen, in denen alle alles teilten: von der Jagdbeute über den Sex bis hin zu der daraus erwachsenden Verantwortung für die Kinder. Statt der Kernfamilie stand die Gemeinschaft im Vordergrund, statt der Treue zum Partner die Zugehörigkeit zur Gruppe. Erst mit der Sesshaftwerdung und der Verbreitung von Landwirtschaft und Besitz wurde die Monogamie dann zum Standard-Modell.

In erster Linie diente der Treueanspruch den Männern bei der Etablierung einer patrilinearen Erbfolge: Sie konnten sicherstellen, dass der Sohn, der einmal allen Besitz erben sollte, auch wirklich von ihnen stammt. Vater, Mutter, (viele) Kind(er): Die Kernfamilie war von nun an wichtiger als die Gemeinschaft, Treue in der Partnerschaft wichtiger als die Zugehörigkeit zur Gruppe.


Was als Zweckbündnis zur Anhäufung von Wohlstand begann, wurde durch die Weltreligionen endgültig zur gottgewollten Ordnung erklärt. Beispiel Christentum: Die Schöpfungsgeschichte sieht nur zwei Menschen vor – und weil sich Eva, nackt und neugierig, vor lauter Langeweile auf eine Schlange einlässt, wird sie mitsamt Adam aus dem Paradies vertrieben. Draußen erwartet sie eine Welt voll Schuld und Scham, in der die Ehe als heilig gilt – und außerehelicher Sex als Sünde. Weibliche Lust wird in der christlichen Gesellschaft tabuisiert, Homosexualität verteufelt.

„Ein rigides moralisches Konzept, das bis heute Wirkung zeigt“, urteilt Michèle Binswanger. Nach Ansicht der Schriftstellerin scheitern moderne Beziehungen nicht aufgrund von Untreue, sondern wegen falsch verstandener Treue. Vielleicht, vermutet sie, betrügt uns gar nicht unser Partner, sondern die Liebe selbst. Die wurde während der Spätromantik zu einem rosaroten Phantasma verklärt, an das wir zwar gerne glauben – an dem Beziehungen aber reihenweise scheitern. Der Treueanspruch an die Partnerin oder den Partner hat mittlerweile keinen wirtschaftlichen oder religiösen Hintergrund mehr, sondern ist zum Selbstzweck geworden.

„Monogamie ist nicht in unserer natürlichen Hardware festgelegt“, sagt der Berner Paartherapeut Klaus Heer im Gespräch mit dem ARTE Magazin. Seit fast 50 Jahren empfängt er in seiner Praxis Paare, denen dieser Umstand zum Verhängnis wurde. Bei den meisten lief die Beziehung anfangs wie von allein: „Solange wir verliebt sind, kommt nur fugenlose Treue infrage“, so Heer. Doch sobald diese bedingungslose Begeisterung abkühle – und das geschehe unaufhaltsam –, schrumpfe die gemeinsame Komfortzone drastisch.

Das Fazit seines persönlichen und professionellen Lebens: „Die Liebe ist monogam, aber der Mensch ist es nicht“, sagt der 79-Jährige. Er rät, sich darauf gefasst zu machen, dass sich „das Romeo-und-Julia-Ideal nicht ewig durchhalten lässt“. Ein Grund zum Verzagen sei das nicht. Im Gegenteil: „Beziehungen sind Experimentierfelder“, betont Heer. Menschen und Paare seien erfinderisch, wenn es darum geht, Partnerschaften neu zu denken. ...

Nota. - Fortpflanzung hat es immer gegeben, sonst gäbe es uns Menschen nicht. Gibt es uns aber, seit es die Liebe gibt? Irgendwann in den sechziger Jahren berichtete der stern-Reporter Gordian Troeller von einem naturnahe lebenden Volksstamm in Südostindien, der glaubte, Kinder würden durch Begattung nur dann gezeugt, wenn Liebe im Spiel ist. 

Das müsse ein glückliches Volk gewesen sein, sollten wir meinen, deren unser damaliger Nationalphilosoph Hegel urteilte, die romantische, wie er sagte, Liebe sei eine Entdeckung oder gar Erfindung der Troubadoure und Minnesänger gewesen, und wohl eine Folge der Begegnung von Abend- und Morgenland in den Kreuzzügen.

Derselbe Philosoph hatte aber, als er noch kein staatstragendes Pontifikalamt versah, in sein Wastebook eingetragen: "Eine ganze Reihe Lokrer [Griechen] erhängte sich um spröder Knaben willen. Die griechische Knabenliebe ist noch wenig begriffen. Es liegt eine edle Verschmähung des Weibes darin und deutet darauf, dass ein Gott neu geboren werden sollte."

Oha.

Das hat mit Biologie nun gar nichts zu tun. Es ist aber durch unsere Kulturgeschichte hindurch und wie es scheint bis in die Zoologie unsrer näheren Verwandten eine konstante Erscheinung. Und ihre differentia specifica ist offenbar nicht der Sexus, sondern die Erotik. Die platonische Erotik, gewiss, aber die umgeht den Sexus nicht, sondern setzt ihn voraus.

"Und die Treue? Das passt ja nun gar nicht!"

Der Mythos berichtet, die auf dem Felde unbesiegbare Heilige Schar der Thebaner habe auf dem eisernen Zusammenhang der jüngeren und älteren Krieger beruht, der aus den päd-erastischen Beziehungen ihrer Jugendjahre stammte.

Mag sein, mag nicht sein.

Fest steht immer nur eins: Wo Fortpflanzung stattfindet, kann Eines nicht ausgeblieben sein. Alles andere steht in Frage. Nichts sonst ist von Natur oder von Moralität voraus-gesetzt. Auch nichts im Verhältnis der Geschlechter außer eben diesem einen Akt. Dass irgendwas lange Zeit üblich war, beweist allenfalls, dass es gut zu allen andern zu seiner Zeit gegebenen Umständen gepasst hat. Dass es zu den andern zu seiner Zeit gegebenen Um-ständen passte, beweist nicht, dass diese Umstände gut waren, o nein. Aber auch, wenn besagte Umstände ungut waren, muss nicht alles, was zu ihnen passte, schlecht gewesen sein. 

Ein weiser Ratschlag: Du musst alles selber, und das heißt: für sich selbst prüfen.
JE



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