Mittwoch, 30. November 2022

Thriller!


aus nzz.ch, 30. 11. 2022

«Thriller» wird 40 Jahre alt
Michael Jacksons Hit-Album war ein Meilenstein – für schwarze Künstler sowie die Kommerzialisierung von Pop-Musik. 
Kein Album wurde weltweit häufiger verkauft als «Thriller». Das Werk beeinflusste Generationen von Musikerinnen und Musikern.

von Franco Arnold

Michael Jackson wollte im Frühling 1982, als er mit den Aufnahmen des Albums «Thriller» begann, eine Platte erschaffen, auf der «jeder Song ein Killer» ist, wie er später in einem Interview sagte. Denn Alben «mit nur einem guten Song und der Rest B-Sides» gab es aus Sicht des damals 23-jährigen Künstlers schon zur Genüge.

Tatsächlich setzte «Thriller», welches Michael Jackson mit dem wegweisenden Jazz- und Pop-Produzenten Quincy Jones aufgenommen und am 30. November 1982 veröffentlicht hatte, in vielerlei Hinsicht neue Massstäbe. Es brannte sich ins kollektive Gedächtnis des Pop-Publikums ein und sollte das meistverkaufte Album aller Zeiten werden – mit bis heute je nach Zählweise zwischen 50 und 100 Millionen verkauften Kopien.

Von den neun Songs der Platte wurden sieben als Single ausgekoppelt, alle schafften sie es in die Top Ten der amerikanischen Billboard-Charts. Ein Rekord nach dem anderen purzelte; kein Album stand länger an der Spitze der amerikanischen Charts, niemals zuvor hatten es mehr Single-Auskoppelungen eines Albums in die Top Ten geschafft, kein Künstler heimste mit einem Album mehr Grammys ein. Mit «Beat It» und «Billie Jean» schuf Michael Jackson überdies zwei Hits, die auch vierzig Jahre nach Veröffentlichung noch jeder mitsummen kann.

Jackson hatte mit «Thriller» das erreicht, was er sich zum Ziel gesetzt hatte: ein Album, auf dem jeder Song ein «Killer» ist. Darüber hinaus stiess er Veränderungen an, die fortan die Karriere von Generationen von Künstlerinnen und Künstlern beeinflussten.

Ein Weg mit Hindernissen

Der Start von «Thriller» war indes wenig verheissungsvoll. Die erste Single «The Girl Is Mine» erschien am 18. Oktober 1982, doch das Duett mit dem Ex-Beatle Paul McCartney überzeugte die Kritiker nicht. Sie hielten die Ballade für fade und insofern für eine «schlechte Wahl» als erste Single.

Dass sich Jackson durch die Zusammenarbeit mit McCartney den europäischen Markt zu erschliessen versuchte, betrachtete sie als Anbiederung. Generell wurde kritisiert, er wolle sich der weissen Hörerschaft andienen. Und obwohl «The Girl Is Mine» beim Publikum gut ankam, schrieben viele Kritiker mit der ersten Single gleich das ganze Album ab.

Auch beim Musiksender MTV, der ab seinem Sendestart im Jahr 1981 entscheidend für die Verkaufszahlen amerikanischer Musiker war, wurde «Thriller» nicht mit offenen Armen aufgenommen. Dass es «Billie Jean», die zweite Single im Januar 1983, überhaupt ins MTV-Programm schaffte, kam einer kleinen Revolution gleich. In den Anfangsjahren dominierte Rockmusik den Sender, in den Videos waren ausschliesslich weisse Musiker zu sehen. Jacksons «Billie Jean» war zu «wenig rockig» – schlicht zu «schwarz».

Jacksons Plattenlabel insistierte und drohte mit Boykott. «Ich gehe an die Öffentlichkeit und werde verdammt noch mal erzählen, dass ihr die Musik eines Schwarzen nicht spielen wollt», so soll ein Plattenboss gedroht haben. Zwar begründete MTV sein Vorgehen damit, dass der Sender den Fokus auf Rockmusik lege. Weil man sich den Vorwurf des Rassismus aber nicht gefallen lassen wollte, wurde «Billie Jean» ab März 1983 dann doch auf MTV ausgestrahlt. Bald schon in der «heavy rotation», was rund fünfzig Wiederholungen pro Woche bedeutete.

Damit waren Schwarze nicht mehr länger ausgeschlossen von einem der gewichtigsten Medien der Unterhaltungsindustrie. Vielen weiteren schwarzen Künstlerinnen und Künstlern gelang im selben Jahr ebenfalls der Sprung in die «heavy rotation» von MTV – unter anderem Prince, Donna Summer oder Lionel Richie.

Generell setzte sich Jackson mit «Thriller» über die starren ethnischen Grenzen der Populärmusik hinweg und vermischte Soul, Funk, Disco mit Rock. Nach dem Rock-Song «Beat It» insbesondere, in dem auch Eddie van Halens Gitarrenkünste zu hören sind, lehnte er sich weit aus der R’n’B-Schublade hinaus. Die musikalische Entwicklung ging dabei mit einem stimmlichen Reifeprozess einher: Jackson habe nun eine «vollständig erwachsene Stimme», schrieb der «Rolling Stone».


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Michael Jackson war nun nicht mehr bloss eine Grösse in der Black Music, er galt jetzt als König der Populärmusik – obwohl sein Beiname «King of Pop» erst in den späten Achtzigerjahren aufkam.

Auch mit seinen Musikvideos unterstrich Jackson seine Einzigartigkeit. Genau wie MTV steckte das Musikvideo in den frühen Achtzigern noch in den Kinderschuhen, bis es Jackson mit «Thriller» – dem titelgebenden Song des Albums – in kommerzielle Professionalität und ins künstlerische Erwachsenenalter überführte. «Thriller» war mit knapp 14 Minuten Länge allerdings eher ein Kurzfilm als ein Clip, das Budget war mit rund 900 000 Dollar exorbitant hoch

Die im Video tanzenden Zombies begeisterten die Massen, hielten Einzug in den Kanon der Populärkultur – und aus dem Musikvideo, das bis anhin einzig Promo-Zwecke erfüllte, wurde eine eigenständige Kunstform.

Das ungekürzte Video von «Thriller» dauert knapp 14 Minuten.

Ein vollkommenes Pop-Produkt

Jackson schuf neue Dimensionen; als künstlerische Persönlichkeit sowie als umsatzstarke Marke. Kein Musiker vor ihm strich derart hohe Lizenzgebühren ein – damals rund 2 Dollar pro verkauftem Album.

Neben dem Album verkaufte sich auch die VHS-Kassette zu «Thriller» mehr als eine Million Mal. Ebenfalls die Dokumentation zum Musikvideo, «Making of Michael Jackson’s Thriller», fand reissenden Absatz. Daneben sorgte eine grosse Merchandising-Maschinerie für zusätzliche Einnahmen, unter anderem konnten Fans ab 1984 eine Michael-Jackson-Puppe für 12 Dollar erwerben.

Michael Jackson erhielt für das Album Thriller zusammen mit seinem Produzenten Quincy Jones bei den Grammy Awards 1984 acht Preise – bis heute ein Rekord.

Böse Vorahnungen?

Doch allen Rekorden zum Trotz schien das teilweise düstere Album thematisch vorwegzunehmen, was in Michael Jacksons Leben noch kommen sollte. Mit zunehmendem Erfolg überschatteten dunkle Wolken den strahlenden Stern am Pop-Himmel.

Es war nicht mehr die Musik, welche ab Mitte der Neunzigerjahre das öffentliche Bild des Pop-Stars prägte. Im Zentrum der Diskussionen standen andere Themen; Jacksons immer heller werdende Haut und seine Gesundheit, seine skandalträchtigen Auftritte, die Vorwürfe des Kindsmissbrauchs. Seine Musik rückte zusehends in den Hintergrund.

Nach Jacksons Tod im Jahr 2009 und der Dokumentation «Leaving Neverland», in der ihm zwei Männer Kindsmissbrauch vorwerfen, wurde der Ruf laut, Michael Jackson überhaupt nicht mehr zu spielen. Doch ein Meisterwerk wie «Thriller» darf nicht in der Versenkung verschwinden – wie auch die ambivalente Persönlichkeit Jacksons nicht in Vergessenheit geraten sollte. Auch Radio SRF spielt die Musik des «King of Pop» weiterhin: «da seine Werke prägend für die Pop-Musik sind», wie das Unternehmen auf Anfrage mitteilt. «Thriller» wird noch weitere Musikergenerationen beeinflussen – auch vierzig Jahre nach seiner Veröffentlichung.

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