Mittwoch, 23. November 2022

Guido Reni im Frankfurter Städel.

aus FAZ.NET, 23. 11. 2022                                          Bacchus und Ariadn                                            zu Geschmackssachen

Beleuchter göttlicher Schauspiele
Im siebzehnten Jahrhundert war kein Maler teurer als Guido Reni, im neunzehn-ten vergaß man ihn fast. Wie „göttlich“ er wirklich war, zeigt nun das Städel Museum in Frankfurt.

von Stefan Trinks

Der 1575 in Bologna geborene und 1642 auch dort gestorbene Barockmaler Guido Reni hat mit seinem Nachleben eine Hollywoodlaufbahn vollführt: From hero to zero to hero, eine Achterbahnfahrt von ganz oben nach sehr weit unten und nun wieder empor. Noch in Renis siebzehntem Jahrhundert, 1678, befand sein erster bedeutender Biograph, der Adelige und eifrige Besucher von Renis Atelier Carlo Cesare Malvasia: „Kein Museum hält man für vollständig, keine Galerie für beachtenswert, die vom großen Guido nicht wenigstens ein Stück besitzt.“

Im neunzehnten Jahrhundert dagegen krähte kaum ein Hahn mehr nach dem schon zu Lebzeiten als „göttlich“ Bezeichneten. Der damals als noch viel göttlicher, weil vergeistigter und subtiler erachtete Raffael und Renis mythologiestärkerer Lehrer Lodovico Carracci wurden weit über den barocken Überschwang des Bolognesen gestellt, dessen Werke teils sogar aus den Galerien genommen. Von dort und sechzig anderen Leihgebern kommen nun erstaunliche Stücke nach Frankfurt, die die Ausstellung im Städel Museum, 34 Jahre nach der letzten Präsentation in der Stadt, mit 130 eigenhändigen Werken des Malers tatsächlich zur größten jemals gezeigten zu Renis Gemälden, Zeichnungen und Druck-graphiken macht.

Himmelfahrt Mariens 1599

Farbfeuerwerke ohne Konkurrenz

Ob Vergöttlichung oder Vergessen berechtigt waren, war bei diesem Maler, man muss es so vage sagen, meist Geschmacksache. Auf einem frühen Hauptwerk, der vom Städel-Muse-umsverein zum zweihundertsten Bestehen des Hauses 2015 geschenkten „Himmelfahrt Mariae“, jetzt das erste Bild der Schau auf der Auftaktwand links, erweist sich, warum: Auf eine Kupferplatte gemalt, strahlen die Farben metallisch klar, das Blau des aufflatternden Marienmantels unterseeisch azurblau, die durch dunkle Wolken brechenden goldenen Strah-len überirdisch stark, als prassle wie in der Mythologie bei Danaë eine Wand unausgesetzten Goldregens auf die Muttergottes herab – tatsächlich verzichtet Reni völlig auf die Heilig-geisttaube, Gottvater in Menschengestalt sowie Christus –, allein sein Goldlicht vermag die Maria im Himmel aufnehmende Trinität zu verkörpern.

Noch vor der Jahrhundertwende 1599 gemalt, sind solche Farbfeuerwerke ohne wirkliche Konkurrenz und prägten nordalpine Italienreisende wie Rubens massiv. Überraschend – oder auch nicht – finden sich im Reigen der knabenhaften Putten um die Muttergottes auch sehr raffaeleske Engel: Von dem längst verstorbenen Meister lernen hieß schließlich auch achtzig Jahre später noch siegen lernen. Doch ist bei diesem frühen Werk und vielen späte-ren auch nicht auszublenden, was ausgerechnet das durchaus pathosaffine neunzehnte Jahrhundert an dem tiefreligiösen Maler störte, der auf Abertausenden Einlegebildchen in katholischen Gebetbüchern durch den erst beginnenden, noch unzulänglichen Farbdruck zusätzlich ins Grell-Süßliche verschoben wurde: Es geht bei Reni selten ohne das hohe Pathos, die Tränendrüse. 

Kopfstudie für Christus in roter Kreide, 1620 

Höchste Zeit für eine Wiederentdeckung.

Die Äuglein der Frankfurter Madonna und der anderen fünf Himmelfahrten im ersten Saal sind rotgeweint, selbst Tränensäcke der Dauerrührung hat der Maler ihr mitgegeben. Doch hier muss die Ehrenrettung einsetzen: Bolognesen sind bis heute begnadete Händler des Möglichen mit einem wunderbar galligen Humor, und Reni, pathologisch spielsüchtig, kannte menschliche Abgründe nicht nur aus den allabendlich aufgesuchten Spielhöllen. Frauen duldete er nur zum Modellsitzen in seinem Haus, ansonsten fürchtete er permanent, vom anderen Geschlecht vergiftet zu werden, während er seine Mutter als mariengleich vergötterte.

Bevor es auf der Frankfurter Himmelfahrt zur divinen Aufnahme kommt, muss die Gottesmutter erst derb wie auf eine Stufe auf das Haupt eines etwas älteren Engels treten, der wie ein Ringer bei dieser sehr haptisch-materiellen Assumptio in einer Art Befreiungs­ges­te ihren azurblauen Mantel berührt und ihr offenbar ein Zeichen seiner Überforderung geben will. Archäologen wiederum würden sagen, dass mit ihm ein Atlant oder der Firma-mentgott Coelus zitiert und transformiert sein könnte. In jedem Fall zeigt sich, dass es sich bei Reni um hohes, aber nicht hohles Pathos handelt.

„Ich, Guido Reni“ steht mehrfach neben Männerbeinen

Im selben Jahr wie die „Himmelfahrt“ entsteht eine Serie von Radierungen, darunter „Belaubter Bogen mit Einzugsmarsch“, die wie nahezu der gesamte be­kann­te Rest von Renis detailreicher Druckgrafik im Frankfurter Kupferstichkabinett liegt und zu Recht gleichrangig gezeigt wird. Auch hier ist es kein hohles Pathos, das er dem Triumphbogen mitgibt; vielmehr überzieht er die ephemere Architektur vollständig mit einer surreal wirkenden Blätterhaut, bekrönt sie zusätzlich mit drei Bäumchen im Keramiktopf und macht die in Bologna – Teil des Kirchenstaats! – einziehenden Anhänger von Papst Clemens VIII. im Vergleich zum monumentalen Bogen zu Ameisen.

Überhaupt agiert er mit Körpern in allen Größen und Verrenkungen sehr freizügig; ein um 1600 entstandenes Skizzenblatt mit „Diversen Figurenstudien und Signaturproben“, vor allem herabbaumelnden Männerbeinen, kann zwar keinem konkreten Werk zugeordnet werden. Es ist aber ein Exerzitium der Fingerfertigkeit, tastend fein und das Gegenteil so mancher böser Deutung, die aus dem auf dem Blatt mehrfach wiederholten Namenszug „Io Guido Reni“ egomanische Hybris herauslas – Reni war Beinahe-Analphabet und übte hier neben dem nötigen Barockbeinschwung auch das flüssige Signieren.

Christus an der Geißelsäule, um 1604

Göttlich ist Reni aber nicht, weil er göttlich-christliche Themen verewigt, das träfe auf die meisten Barockmaler zu. Seine ureigene Qualität ist das Licht als Bedeutungsträger und erzählerisches Element in jedem seiner Bilder. Renis gesamtes Lebenswerk lässt sich am jeweils unterschiedlichen Einsatz des Lichts in drei Phasen unterteilen: Anfangs stark von der unterkühlten Lichtregie des Manieristen Parmigianino beeinflusst, mit einem grellgelb-blauen Mantel Sankt Katharinas über einem Untergewand in Rosa in ihrem „Martyrium“ von 1606 , bei dem der Henker Rot und Ocker trägt und ähnliche Retina-Kitzeleien, entscheidet er sich, nach Rom umgezogen, früh für Caravaggios Hell-Dunkel-Gefühlsbäder. Ab 1606, mithin ein Jahrzehnt vor den heute bekannten Anhängern des Malers, wird Reni Caravaggist. Seinen „Christus an der Geißelsäule“ setzt er 1604 vor einen nachtschwarzen, alle Schmerzensschreie schluckenden Hintergrund; der einzige Hinweis auf die absenten Geißel-Schergen ist der glutrote Schein von deren Fackeln in Christi dunklem Haar – effektvoller hätte auch Caravaggio das nicht zu inszenieren vermocht.

Studie für Apoll im Aurora-Fresko im römischen Palazzo Pallavicini Rospigliosi, 1612-14.

Zusätzlich verdunkelt Reni noch die eigentlich weiß gesprenkelte Martersäule aus Santa Prassede, die anhand ihrer garnspulenartigen Form sofort zu identifizieren ist und die er sehr gut kannte – er wohnte mit zwei Künstlerfreunden in einer WG gleich neben dieser römischen Kirche, die für sich beanspruchte, die Reliquie der originalen Geißelsäule zu besitzen. Zwei Jahre nach Ausbruch des Dreißigjährigen Kriegs zeigt er hingegen in schweflig gelber Gewitteratmosphäre einen sadistischen, darin sehr menschlichen Gott, wenn Apoll in unschuldig weißem Teint dem derb rothäutigen Marsias die Haut abzieht und mit der Schindung in der Achselhöhle beginnt.

Unvollendete Bilder und furios freie, die nur so wirken

Nach diesen caravaggesken Lichtinszenierungen hellt sich die Palette wieder auf. Ein besonderes goldenes Licht strahlt nun aus allen Poren der Figuren und Stoffe, nicht nur der Heiligen. „Bacchus und Ariadne“ vor einer Tourismus-Adria mit weißen Segelbooten leuchten trotz Ehezwist um die Wette. Und der späte Johannes der Täufer von 1636, sechs Jahre vor Renis Tod gemalt, vereint noch einmal beide „Licht-Phasen“ des Malers und weist weit voraus in die Zukunft: Der jugendschöne Körper des in die Ferne auf den Kommenden zeigenden Propheten badet in warmem Licht, doch über Johannes dräuen die dunklen Gewitterwolken seines Schicksals. Sein Kamelhaarmantel wiederum ist mit nur wenigen Pinselstrichen als freies „Abozzo“ hingeworfen.

Seine Kunst hielt Reni eigenen Aussagen zufolge nie für göttliche Geniegabe, vielmehr für harte Arbeit, aufwendigst vorbereitet in mindestens zweitausend Vorzeichnungen, die man im Nachlass fand: Von ihnen sind die Kopfstudien ei­nes „Alten Bärtigen“ und einer „Alten Frau“ trotz nur weniger Rötelstriche und Weißhöhungen in den Wangen so lebensnah atmend, dass man beinahe erschrickt. Er wusste jedoch um sein Nachleben und wollte es unbedingt: Manchmal malt er auf so beständiger wie teurer Seide statt Leinwand, die qualitätvollen Farben sind ungewöhnlich sorgfältig angerieben; alles in seiner Malerei zielt auf die lange Dauer des Ruhms. Die Frankfurter Schau zeigt mit dreizehn famosen Neuzuschreibungen, dass Guido Reni auch dem 21. Jahrhundert viel geben kann.

Guido Reni. Der Göttliche. Städel, Frankfurt, bis 5. März 2023. Der Katalog kostet 39,90 Euro

Hippomenes und Atalante um 1615-18 

Nota. -  Schönheit und Natürlichkeit nannte Vasari als die kennzeichnenden Besonderheit der Kunstauffassung, die er zum rinascimento der Antike ausgerufen hatte - 'besonders' nämlich gegenüber der vorangegangenen maniera greca alias(!) gotica, die seit dem ostgo-tischen Reich des Theoderich in Italien zur vorherrschenden geworden war. 

Als deren Höhepunkt gilt den meisten bis heute die Malerei Raffaels - und nach dem löste sich die Renaissance in eine Vielzahl von Unterströmungen auf, bis in den Effekten des Manierismus der Tizian und Tintoretto von Schönheit und Natürlichkeit kaum noch was übrigwar,

Da griffen zwei große Meister mit fester Hand ein, um das Barock zu begründen und Natürlichkeit und Schönheit neu zur Geltung zu bringen. Natürlichkeit, das war Caravag-gios Sache, der sie als Ausdruck verstand, doch für die Schönheit war Guido Reni zuständig, der sich enger an Raffael anschloss. Raffael gilt freilich bösen Zungen als Erfinder des Kitschs. 

Bemerkenswert ist an der Ausstellung im Städel - oder an dem Bericht von Stefan Trinks? -, dass auch Reni zunächst unter dem Eindruck Caravaggios stand, wie übrigens die meisten Zeitgenossen, Rubens inklusive; nur Rembrandt konnte nicht zugeben, dass Caravaggio ihm über war

Ich nehme an, dass Reni einsah, dass er gegen diesen Meister keine Chance hatte, und sich zum Epigonen Raffaels beschied. Weshalb er heute vielen als Kitschmaler gilt.
JE

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