Freitag, 31. Oktober 2025

Wo kamen die Naturgesetze her?

                                                                        

Man kann das eigentliche Problem immer weiter vor sich herschieben, aber dabei wird nur immer durchsichtiger: Was wir - seit Newton und auch nach Kant - als unsere Vernunft auffassen, sträubt sich gegen den Gedanken, dass etwas ist und ist und lediglich ist: Es ist ein Ungedanke. Sofern wir denken, müssen wir uns einen vorangegangenen andern Zustand denken -  und einen Täter; einen, der eingegrif-fen und aus dem vorangegangen den gegenwärtigen Zustand gemacht hat. Der abstrakt denkende Naturwissenschaftler wird gewohnheitsmäßig nicht mehr an einen Verursacher, sondern an eine Ursache denken; aber sie nicht denken kann auch er nicht. 

Es ist ein Zirkel. Die Vernunft erlaubt uns nicht, ohne Kausalität zu denken. Aber Vernunft ist ursprünglich nichts anderes als das Prinzip, sich alles Seiende als verur-sacht vorzustellen. Denn selbstverständlich kann man sich die Welt auch anders vorstellen - nur reden wir dann nicht von denken, sondern von phantasieren; nicht von Vernunft, sondern von Irrsinn.

Die Kritik des Naturgesetzbegriffs ist nichts anderes als Vernunftkritik - so die Tendenz seit Kant. Das Vexierstück ist, dass die Vernunft sich selbst voraussetzt. Will sagen, was Vernunft ist und ob und wie sie sich begründen lässt, kann wieder nur mit den Instrumentarien der Vernunft entschieden werden. Die Vernunft kann sich nicht von außen prüfen, sondern muss gewissermaßen in sich zurückkriechen und sich dabei zusehen, wie sie es anstellt, am Ende 'zu sich selbst' zu kommen.

Sie kann sich dabei ihrer stolzesten Leistungen - Begriff und Schlussregeln - nicht bedienen, sie muss im Gegenteil darauf achten, bei der Rekonstruktion ihres Werde-gangs dieses Ziel nie aus dem Auge zu lassen: Begriff und Schlussregeln festzustel-len! Sie kann nicht argumentieren, sondern muss zeigen, muss anschaulich vorfüh-ren, "wie man es sich vorstellen muss". 

Vernunftkritik ist diejenige Philosophie, in die - da hat Frau Anderl ganz Recht - die Frage nach den Naturgesetzen letzten Endes hineinführt. Kant hatte die Transzen-dentalphilosophie bis an die Pforten seines Apriori, der zwölf Kategorien und der beiden Anschauungsformen getrieben. Da blieb er stehen. Fichte führte die Unter-suchung fort. Als allererste Voraussetzung auch des Kant'schen Apriori legt er das schlechthin agile Ich bloß, das 'sich setzt, indem es sich ein/em Nicht-Ich entgegen-setzt'. Schon Raum und Zeit, schon die Kategorien sind Weisen des Vorstellens, ja 'das Ding' selbst wird real erst, wenn es ihm entgegensteht und als ein Dieses be-stimmt und vorgestellt wird. (Wir wissen nichts als was in unserm Bewusstsein vor-kommt. In unserm Bewusstsein kommen nur Vorstelleungen vor.)

Kurz gesagt, in allem, was wir uns vorstellen, ist ein Macher immer schon mitge-dacht, nämlich Ich. Aber die Kritische alias Transzendentalphilosophie erlaubt uns, davon zu abstrahieren. Doch wenn wir vom Verursacher abstrahieren, sollten wir auch von der Ursache abstrahieren. In ontologischer Hinsicht kommt die Vernunft nie weiter als bis zu: Was ist, ist.* So verfahren die statistischen Fächer wie die Ther-modynamik; die haben auch mit der Emergenz kein theoretisches Problem.

*) Will sagen: Die Erscheinung erscheint, und sonst nichts. Alle Attribute sind Zutaten der Intelligenz. 

Kommentar zu "Was ist ein Naturgesetz?", JE, 2. 3. 18

 

Nachtrag: Im Kausalitätsprinzip ist enthalten die Vorstellung, dass es ein Vorher und ein Nachher gibt, dass alles in der Zeit ist und alles eine Geschichte hat. Doch wird mit der Substantifizierung der "Ur"-Sachen zu dauernd Seienden das Werden, das ja unsere Lebenswelt ist, zu einer zufälligen Nebensache entwirklicht. Im nomi-nalen Schreib- und Sprechstil all unserer Verwaltungen findet die Verdinglichung jeden Tuns ihre hoheitliche Weihe. 
29. 1. 24

 


Nota. Das obige Foto gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog

Donnerstag, 30. Oktober 2025

Die Erklärung von Erscheinungen aus Begriffen.

rauchzeichen                                                              zu  Philosophierungen

Zur Erklärung gegebener Erscheinungen können keine andere Dinge und Erklä-rungsgründe, als die, so nach schon bekannten Gesetzen der Erscheinungen mit den gegebenen in Verknüpfung gesetzt worden, angeführt werden. Eine transzen-dentale Hypothese, bei der eine bloße Idee der Vernunft zur Erklärung der Natur-dinge gebraucht würde, würde daher gar keine Erklärung sein, indem das, was man aus bekannten empirischen Prinzipien nicht hinreichend versteht, durch etwas er-klärt werden würde, davon man gar nichts versteht.  ... 

Ordnung und Zweckmäßigkeit in der Natur muß wiederum aus Naturgründen und nach Naturgesetzen erklärt werden, und hier sind selbst die wildesten Hypothesen, wenn sie nur physisch sind, erträglicher, als eine hyperphysische, d.i. die Berufung auf einen göttlichen Urheber, den man zu diesem Behuf voraussetzt. Denn das wä-re ein Prinzip der faulen Vernunft (ignava / ratio), alle Ursachen, deren objektive Realität, wenigstens der Möglichkeit nach, man noch durch fortgesetzte Erfahrung kann kennen lernen, auf einmal vorbeizugehen, um in einer bloßen Idee, die der Vernunft sehr bequem ist, zu ruhen. Was aber die absolute Totalität des Erklärungs-grundes in der Reihe derselben betrifft, so kann das keine Hindernis in Ansehung der Weltobjekte machen, weil, da diese nichts als Erscheinungen sind, an ihnen nie-mals etwas Vollendetes in der Synthesis der Reihen von Bedingungen gehoffet wer-den kann.
_________________________________________________________________Kant, Kritik der reinen Vernunft,
B 654f.

 

Nota. - Wo immer Kant etwas dogmatisch nennt, meint er dies und nichts anderes: die Erklärung einer wirklichen Erscheinung aus bloßen Begriffen. Der kanonische Satz lautet: Anschauung ohne Begriff ist blind, aber Begriff ohne Anschauung ist leer 

Die realen Wissenschaften gehen in ihren Laborversuchen oft genug in diesem Sinn 'dogmatisch' vor, indem sie Begriffe ohne eigene Prüfung übernehmen, die aber im Entwicklungsgang ihrer jeweiligen Wissenschaft doch von Vorgängern und Zeitge-nossen geprüft und bestätigt wurden. Das unterscheidet Wissenschaft von Alche-mie und anderm Hokuspokus: Es forscht nicht ein jeder privat für sich und sucht sein Geheimnis zu bewahren, sondern Wissenschaft geschieht in einem öffentlichen Betrieb, weil anders ihr Fortschreiten und Aufbauen auf Ergebnissen gar nicht mög-lich wäre.

Es wird immer wieder geschehen, dass neue Forschungsergebnisse die Überprü-fung und Korrektur und gar Ausmusterung bewährter Begriffe und Theorien erfor-dern. Doch auch das wird zum öffentlichen Sachverhalt, denn der Prüfstein der Wissenschaften ist ihre Bewährung in der großen Industrie.

Nicht so in der Philosophie. Philosophische Schulen können sich auch dann halten, wenn keiner was mit ihnen anfangen kann - und erst recht, wenn viele mit ihnen was anfangen können; eine literarische oder akademische Karriere zum Beispiel. In der Philosophie ist Dogmatismus möglich

Freilich nicht unter eignem Namen. 


Gute Gelegenheit für eine Reflexion.

Begriffsfetischisten - Dogmatiker - finden wir heute unter den Anhängern jener sprachanalytischen Schule, die sich eigenartigerweise Systematiker nennen. Sie scheinen zu glauben, wenn sie die Begriffe nur unmissverständlich genug definiert hätten, wäre irgendwas gewonnen. Doch ist ihnen von ihrem Stammvater Wittgen-stein her an der Erklärung dessen, was wirklich ist und "erscheint"- nur davon re-dete Kant - gar nichts gelegen, sondern nur an der Festellung dessen, was der Fall ist. 'Der Fall' ist unter seinen Prämissen dasjenige, was die Logik feststellen kann. Das Erscheinende ist ihm gehupft wie gesprungen. 

*

Die sind von Kant also gar nicht gemeint, die hätten ihn bloß befremdet. Die eigentlichen Dogmatiker sind heutzutage gerade die, die gegen alle Dogmen ihre Messer wetzen: Anything goes, dogmatisch ist, wer zwischen wahr und unwahr un-terscheiden will: Wahrheit gibt es nicht, allenfalls Wahrheiten, Wirklichkeit ist ein Patchwork von so oder anders

Das sind nicht pervertierte Dogmatiker, sondern verlogene. 

Dogmatismus ist nicht die Ursache seiner selbst. Seine Ursache ist, wie Kant treff-lich formuliert, die ratio ignava, die faule Vernunft. Kritisch sind sie, aber hallo! - doch bloß bis zu dem Punkt, wo es anstrengend wird; ich meine, wo es Konse-quenz erfordert. Haben sie irgendwo eine Teilwahrheit aufgestöbert, sind sie's zu-frieden und wenden sich der nächstbesten zu. Sie sind einfach zu faul, an irgend-einer Stelle bis zum Schluss zu gehen. Sie sind ein Hohn der kritischen Philosophie.

Akademische Posten kann man auch so ergattern, oder doch wenigstens literari-schen Ruhm.
JE, 25. 12. 21

 

 

Mittwoch, 29. Oktober 2025


 

Buben brauchen neue Rollenbilder.

 Conchita 
aus derStandard.at, 28. 10. 2015       Buben wirken in der neuen digitalisierten Welt mit neuen Rollenbildern oft abgehängt. Integrationsministerin Claudia Plakolm (ÖVP) will Burschenarbeit als Begleitmaßnahme zum geplanten Kinderkopftuchverbot ausbauen. 6,5 Millionen Euro stehen dafür bereit.       zMännlichzu öffentliche Angelegenheiten; zu Levana, oder Erziehlehre

Bubenarbeit, ja bitte! 
Es braucht Rolemodels und das so früh wie möglich
Immer mehr Buben und junge Männer flüchten sich in Protestmännlichkeit. Es braucht positive Vorbilder – wenn schon nicht zu Hause, dann wenigstens im verpflichtenden Kindergarten

von Birgit Wittstock 

Die Teenagerjahre sind seit jeher schwierig. Dass vor allem männliche Jugendliche in dieser krisenanfälligen Entwicklungsphase einen Hang zu erhöhter Delinquenz haben, ist der Wissenschaft bereits seit dem 19. Jahrhundert bekannt. Phänomene wie toxische Männlichkeit, Manosphere und die sogenannte Protestmännlichkeit sowie die jüngsten Fälle um sexuelle Gewalt werfen jedoch die Frage auf: Was stimmt nicht mit den Burschen?

Orientierungslose Buben

Es sind vor allem die Burschen und jungen Männer, die in der digitalisierten, globalisierten Gegenwart, in der althergebrachte Rollenbilder in Auflösung begriffen sind, zusehends orientierungslos und abgehängt wirken. Vor der großen Frage, wie Männlichkeitsbilder einer aufgeklärten modernen Gesellschaft aussehen könnten, stehen sie oft alleine. Oder aber die Frage stellt sich ihnen erst gar nicht, weil sie aus Familien stammen, in denen der Vater nach wie vor das letzte Wort hat.

Burscharbeit in Schulen soll nun richten, was Gesamtgesellschaft und Elternhaus nicht gelingt. In Workshops sollen den Buben Alternativmodelle zu jener toxischen Männlichkeit aufgezeigt werden, die sie sich von Pornos abschauen, oder von den gewaltvollen und frauenverachtenden Narrativen von Manosphere-Influencern lernen. Deshalb: Bubenarbeit, ja bitte! Am besten in einem für alle verpflichtenden Kindergarten, in dem auch fürsorgliche männliche Bezugspersonen Buben auf ihrem Weg zum Mannsein begleiten.

Mehr zum Thema:
"Konsens beginnt bei einem selbst": Was Burschenarbeit leisten soll

 

Nota. - Nachtijall, dir hör ick trampln.
JE 

 

 


 

Kant über Witz und Grundkraft.

stock                                                                      zu  Philosophierungen

Unter die verschiedenen Arten von Einheit nach Begriffen des Verstandes gehört auch die der Kausalität einer Substanz, welche Kraft genannt wird. Die verschiede-nen Erscheinungen eben derselben Substanz zeigen beim ersten Anblicke soviel Ungleichartigkeit, daß man daher anfänglich beinahe so vielerlei Kräfte derselben annehmen muß, als Wirkungen sich hervortun, wie in dem menschlichen Gemüte die Empfindung, Bewußtsein, Einbildung, Erinnerung, Witz, Unterscheidungskraft, Lust, Begierde usw. Anfänglich gebietet eine logische Maxime, diese anscheinende Verschiedenheit soviel als möglich dadurch zu verringern, daß man durch Verglei-chung die versteckte Identität entdecke, und nachsehe, ob nicht Einbildung, mit Bewußtsein verbunden, Erinnerung, Witz, Unterscheidungskraft, vielleicht gar Verstand und Vernunft sei. 

Die Idee einer Grundkraft, von welcher aber die Logik gar nicht ausmittelt, ob es dergleichen gebe, ist wenigstens das Problem einer systematischen Vorstellung der Mannigfaltigkeit von Kräften. Das logische Vernunftprinzip erfordert diese Einheit soweit als möglich zustande zu bringen, und je mehr die Erscheinungen der einen und anderen Kraft unter sich identisch gefunden werden, desto wahrscheinlicher wird es, daß sie nichts, als verschiedene Äußerungen einer und derselben Kraft sei-en, welche (komparativ) ihre Grundkraft heißen kann. Ebenso verfährt man mit den übrigen.

Die komparativen Grundkräfte müssen wiederum untereinander verglichen werden, um sie dadurch, daß man ihre Einhelligkeit entdeckt, einer einzigen radikalen, d. i. absoluten Grundkraft nahe zu bringen. Diese Vernunfteinheit aber ist bloß hypo-thetisch. Man behauptet nicht, daß eine solche in der Tat angetroffen werden müs-se, sondern, daß man sie zugun-sten der Vernunft, nämlich zu Errichtung gewisser Prinzipien, für die mancherlei Regeln, die die Erfahrung an die Hand geben mag, suchen, und, wo es sich tun läßt, auf solche Weise systematische Einheit ins Erkennt-nis bringen müsse.  _________________________________________________________________________________________________________ Kant, Kritik der reinen Vernunft, A 649/B 677

 

Nota. - Das ist eine von den Stellen, wo Kant die Möglichkeit ins Auge fasst, dass es sich bei den 'Kräften' der Menschen im Grunde um eine einzige handeln könnte, die jeweils nur auf verschiedene Gegenstände verwendet wird - so wie es Fichte schließlich für die Vermögen feststellt; und nicht nur ins Auge fasst, sondern dem Erfahrungswissenschaftler als heuristisches Prinzip nahelegt. Er bezieht auch Lust und Begierde mit ein, um sie im folgenden Satz gleich wieder auszuschließen und sich auf die geistigen Gemütskräfte zu beschränken - nänlich jene, durch die Frei-heit und Selbstbestimmuung möglich werden.

Mhd. diu witze hat übrigens dieselbe Wurzel wie nhd. Wissen, bedeutet aber eher Intelligenz und Klugheit, was noch in unserm Adjektiv gewitzt nachklingt. Kant übersetzt den engl. common sense mit Mutterwitz, und Fichte nennt den Witz eine "sehr ernsthafte Sache".

In der Sache versteht Kant unter Witz das Aufspüren einer "versteckten Identität" in den erscheinenden Gegensätzen - ähnlich wie Lichtenberg: "Ohne Witz wäre eigentlich der Mensch gar nichts, denn Ähnlichkeit in den Umständen ist ja alles was uns die wissenschaftliche Erkenntnis bringt, wir können ja bloß nach Ähnlich-keiten ordnen und behalten."*

Und wenn wir uns heute einen Witz erzählen, dann lachen wir über eine unverhoff-te Ähnlichkeit zwischen zwei Phänomenen, die auf den ersten Blick gar nichts mit-einander zu tun haben - oder umgekehrt über einen entlarvenden Doppelsinn in ein und derselben Sache: in jedem Fall aber über eine Synthesis, die der verstandesküh-len Analysis spottet. Eine solche wäre die erwähnte Grundkraft.

*) Sudelbücher, Heft J, N° 936

 

Nota. Das obige Foto gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog. JE

Dienstag, 28. Oktober 2025

"Überbau" und "Unterbau".

 Moskau                                                                                  zu öffentliche Angelegenheite

 Ob 'der Überbau' in der historischen Dynamik wichtiger ist als 'der Unterbau', ist eine rein dogmatische Frage, die in der Kritik der Politischen Ökonomie gar nicht zu stellen war. Wer 'angefangen' hat in der Freisetzung der wirtschaftlichen Dyna-mik seit ca. 1600, 'die Institutionen' oder 'die Produktivität', ist eine scholastische Frage ohne eigene theoretische Bedeutung. Dienen kann sie parteiischen Interes-sen, aber die sind als solche nicht Gegenstand von Wissenschaft. 

Nämlich wenn es um die Dynamik geht: die Frage, was in der Geschichte Spuren hinterlassen hat. 'Anfangen' mag tausenderlei, die Menschen machen ihre Geschich-te selber. Aber sie machen sie nicht unter frei gewählten Bedingungen. Die aber entscheiden darüber, was sich bewährt und behauptet. Davon wiederum berichtet "die Empirie": Eher noch ist eine politische Innovation im Verlauf des gesellschaft-lichen Verkehrs untergegangen, als dass eine politische Innovation den gesellschaft-lichen Verkehr neu bestimmt hätte. Letzteres ist auch im Ernst nur einmal versucht worden, in Russland, und es ist tragisch gescheitert.

Kommentar zu Wann begann das Wirtschaftswachstum?, 1. 8. 21

 

Nota. -  Der Unterschied ist: Den 'Überbau' kann man absichtsvoll verändern, der 'Unterbau' muss sich von alleine ändern; darauf kann man allenfalls warten.

 

 

Montag, 27. Oktober 2025

Das gesunde Volksempfinden begehrt überall Zutritt.


A. Paul Weber, Das Gerücht                                                                                                          zu öffentliche Angelegenheiten

Die wichtigste, weil folgenreichste Leistung der bürgerlichen Zivilisation war die Verdoppelung des Lebensraums zu einem privaten und einem öffentlichen Bereich, die einander streckenweise durchdringen und nicht topographisch eingrenzbar sind; die aber beide eigene Rechte und Pflichten umfassen und gegen einander geltend machen. Sie bestehen in steter Spannung, die im je konkreten Moment neu austa-riert werden muss. 

Nur so können persönliche Freiheit und Rechtsstaat miteinander bestehen.

Die woke Seuche und ihre Vorläufer*innen hat mit der Parole Das Private ist poli-tisch! die Axt an die Wurzeln des demokratischen Gemeinwesens gelegt. Sie hat Li-beralität und Recht delegitimiert und mit ihrem Totalitarismus der dumpfen Reak-tion den Weg bereitet. Sie sind heute nicht mal mehr das kleinere Übel.

 

Gravitation ist wohl doch nicht gequantelt.

Verschränkung von Massen 
aus scinexx.de, 23. 10. 2025                                                                           zu Jochen Ebmeiers Realien

Rätsel um die Gravitation vertieft sich
Experimente zum Nachweis der Quantengravitation können irreführen


Fundamentale Lücke: Schon Einstein scheiterte daran, Gravitation und Quantenphysik zu vereinen. Jetzt haben Physiker entdeckt, dass auch der vielversprechendste Test auf eine Quantelung der Gravitation nicht eindeutig ist. Der Grund: Auch in einer rein klassischen, ungequantelten Raumzeit kann es eine Art Verschränkung von Massen geben, wie die Forscher in „Nature“ demonstrieren. Doch genau diese Verschränkung galt bisher als experimenteller Beweis für die Quantennatur der Gravitation. Und jetzt?

Die Gravitation ist der Außenseiter unter den vier Grundkräften – und eines der größten Rätsel der Physik. Zwar revolutionierte Albert Einstein unsere Sicht auf die Gravitation durch sein Raumzeit-Modell. Doch auch er scheiterte an einem entscheidenden Punkt: Während alle anderen Grundkräfte durch Trägerteilchen vermittelt werden – Gluonen bei der Starken, W- und Z-Bosonen bei der Schwachen Kernkraft und Photonen beim Elektromagnetismus –, fehlt ein solches Vermittlerteilchen für die Gravitation. Bisher ist nicht einmal klar, ob es überhaupt „Gravitonen“ gibt.

Rumzeit
Nach Einsteins Relativitätstheorie manifestiert sich Gravitation als Krümmung der Raumzeit. Aber gibt es ein vermittelndes Quantenteilchen? 

Ist die Gravitation gequantelt?

Das hat Folgen: Alle anderen Grundkräfte sind durch den Austausch diskreter Teilchen quantisiert – sie lassen sich daher auch über die Quantenmechanik beschreiben. Nicht so die Gravitation: Einsteins Relativitätstheorie ermöglicht es zwar, die Gravitation mit den Mitteln der klassischen Physik zu beschreiben. Mit der Quantenphysik ist dies aber nicht vereinbar. Es gibt theoretische Ansätze, die diese Quadratur des Kreises versuchen, darunter die Schleifen-Quantengravitation, die String-Theorie oder auch die Idee einer superfluiden Raumzeit.

Doch bisher scheiterten alle Modelle an einem entscheidenden Punkt: Es fehlen experimentelle Belege dazu, ob die Raumzeit gequantelt ist oder nicht. Bisherige Tests blieben uneindeutig. „Die Vereinheitlichung von Gravitation und Quantenmechanik bleibt eine der grundlegendsten offenen Fragen der Physik“, erklären Joseph Aziz und Richard Howl von der University of London. 

Feynmans Experiment und die „spukhafte Fernwirkung“

Es gibt aber ein Experiment, das vielleicht endlich eine Antwort liefern könnte. Vorgeschlagen wurde es bereits 1957 vom US-Physiker Richard Feynman. In diesem Experiment bringt man ein möglichst schweres, dichtes Objekt in eine quantenphysikalische Überlagerung und lässt es dann mit einem zweiten Objekt interagieren. Ist die Gravitation gequantelt, müssten sich beide Objekte auch miteinander verschränken lassen. „Dies galt bisher als eindeutiger Beweis dafür, dass die Gravitation den Gesetzen der Quantenmechanik folgt“, erklären die Physiker.

Der Grund: Gängiger Theorie nach kann es in der klassischen Physik keine „spukhafte Fernwirkung“ geben. Denn für die Verschränkung ist ein nicht-lokaler Informationsaustausch zwischen den verschränkten Objekten nötig – beispielsweise durch gequantelte Trägerteilchen. Weist das Experiment eine Verschränkung nach, muss es demnach Gravitonen und damit eine Quantisierung der Gravitation geben – so die Annahme.

Nichtlokaler Austausch auch ohne Quantelung?

Genau diese Annahme widerlegen Aziz und Howl nun jedoch. „Wir zeigen, dass auch lokale, klassische Theorien der Gravitation eine Quantenkommunikation und damit eine Verschränkung erzeugen können“, schreiben sie. Basis ihrer Argumentation ist die Quantenfeldtheorie (QFT). Nach dieser sind physikalische Felder und ihre jedem Punkt zugeordneten Werte die Grundeinheiten, die alle Teilchen hervorbringen. Ein Beispiel dafür ist das Higgs-Boson, das sich auch als Manifestation des Higgs-Felds beschreiben lässt. 

Wie die beiden Physiker erklären, gilt die Quantenfeldtherorie auch für Materie. In einem solchen Materiefeld können auch virtuelle Teilchen entstehen – nicht direkt beobachtbare Zwischenzustände von Wechselwirkungen. „Auf der Ebene der Feldtheorie gibt es demnach auch den Austausch virtueller Materieteilchen zwischen Massen“, erklären Aziz und Howl. Daraus wiederum folgt, dass es auch ohne Gravitonen einen nichtlokalen Informationsaustausch geben kann – und damit eine Verschränkung.

die Rote Linie
Im Experiment müsste sich eine echte Quantenverschränkung bei den Massen- und Kohärenzzeiten zeigen, die links der roten Linie liegen. Die rein klassischen Verschränbkungs-Effekte könnten hingegen rechts der Roten Linie auftreten. 

Ablesbar nur an subtilen Unterschieden

„Die bloße Beobachtung einer Verschränkung im Feynmannschen Experiment kann daher nicht als Beweis für eine gequantelte Gravitation gelten“, schreiben die Physiker. Denn auch eine klassische Gravitation kann eine Art Verschränkung zwischen den Massen erzeugen – selbst wenn es keine gequantelten Gravitonen gibt. Daher kommt es auf die Parameter und die Art des Experiments an, ob die beobachtete Verschränkung eine Quantengravitation anzeigt oder nicht.

Was aber bedeutet dies konkret für die experimentelle Überprüfung? Das rechnen die beiden Forscher in ihrer Studie vor. Ihren Ergebnissen nach gibt es demnach Unterschiede in der Abhängigkeit der Verschränkung von Masse, Abstand und Wechselwirkung. Der Einfluss dieser Parameter ist bei der klassischen, nicht gequantelten Gravitation etwas anders als bei der Quantengravitation.

Experimente werden noch schwieriger

„Dies hat direkte Konsequenzen für zukünftige Experimente, die die Quantennatur der Gravitation über die Verschränkung testen wollen“, sagt der nicht an der Studie beteiligte Physiker Zachary Weller-Davies von InstaDeep London. So können Forschende die neuen Erkenntnisse nun nutzen, um die Experimentparameter so anzupassen, dass die irreführende Verschränkung durch klassische Effekte minimiert wird.

„Die Analyse von Aziz und Howl macht klar, dass künftige Experimente sowohl die Stärke als auch das Skalierungsverhalten der Verschränkung messen und dies dann mit den Vorhersagen der klassischen Physik und der Quantentheorien vergleichen müssen“, erklärt Weller-Davies. „Solche Experimente sind aber eine enorme Herausforderung, weil sie eine präzise Kontrolle über Quantenzustände über mehrere Größenskalen hinweg erfordern.“ (Nature, 2025; doi: 10.1038/s41586-025-09595-7)

Quelle: Nature; 23. Oktober 2025 - von Nadja Podbregar

 

Sonntag, 26. Oktober 2025

Prahlhans Küchenmeister.






KI als Causa sui.

Ein KI-generierter Grabstein des Internets von 1989 - 2025.
aus derStandard.at, 26. 7. 2025                                               zu öffentliche Angelegenheitenzu Philosophierungen

TOTES INTERNET
Wie wir das Internet an die Künstliche Intelligenz verlieren
Laut der "Dead Internet Theory" gleicht das Netz einer Spielwiese der KI-generierten Interaktionen, menschliche Inhalte geraten in den Hintergrund. Ist das Internet gar schon tot?

Das Internet ist tot. Die meisten Online-Interaktionen sind KI-generiert – von Menschen produzierter Inhalt und Kommunikation wurden zurückgedrängt. Das Netz, wie wir es kennen und täglich nutzen: eine Illusion voller Bots und computer-generierter Bytes.

Das besagt zumindest die "Dead Internet Theory". Eine Theorie mit verschwö-rungstheoretischem Ansatz, die sich erstmals 2021 in diversen Internetforen ver-breitet hat und dem Internet ein Todesdatum irgendwo zwischen 2016 und 2017 bescheinigt – seit fast zehn Jahren soll das World Wide Web also ein Spielplatz KI-generierter Interaktionen sein.

Doch durch die rapide Entwicklung der Künstlichen Intelligenz scheint der Begriff einer "Verschwörung" in den Hintergrund zu rücken und die Theorie einen realen Anstrich zu erhalten.

KI ist keine Spielerei

94 Prozent der Menschen in Österreich nutzen täglich das Internet – das geht aus dem im STANDARD berichteten und für Österreich durch A1 angewendeten D21-Digitalindex hervor. Kurzum: Eine Person in Österreich zu finden, die sich nicht durch Internetdienste informieren oder helfen lässt, ist ziemlich unwahrscheinlich. Gleichzeitig zeigt der Bericht, dass rund 57 Prozent der digitalen Welt skeptisch ge-genüberstehen – 30 Prozent sehen in der Digitalisierung gar eine regelrechte Ge-fahr für die Demokratie.

Eine Skepsis und augenscheinliche Gefahr, die durch die schier unaufhaltsame Welle der Künstlichen Intelligenz nicht sofort abnehmen wird. Schließlich stehen wir mittlerweile oft vor dem Problem, dass KI und ChatGPT keine rein lustigen Spielereien mehr sind – KI ist allgegenwärtig, aber vor allem nicht mehr immer als solche erkennbar.

Falschinformation zum eigenen Zweck

Während der jüngsten Proteste in Los Angeles verbreiteten sich zahlreiche irre-führende Fotos, Videos und Texte in sozialen Medien. Sie griffen alte Verschwö-rungstheorien auf, unterstützten US-Präsident Donald Trumps Maßnahmen und vermittelten fälschlich den Eindruck, die gesamte Stadt sei von Gewalt betroffen.

Auch bereits 2016, zum ersten Wahlsieg des momentanen US-Präsidenten, hat eine Studie herausgefunden, dass mindestens 400.000 Bots die politische Diskussion zur damaligen US-Präsidentschaftswahl auf Twitter aufgemischt haben. Diese Bots produzierten ungefähr 20 Prozent aller zum Thema passenden Tweets – über drei Viertel davon waren rein positive Botschaften über Trump. Beweise dafür, dass sich KI und Falschinformationen gezielt für eigene Zwecke einsetzen lassen.

Beim Scrollen übersehen

Doch nicht nur im politischen Kontext sind Bots, Falschinformationen und schwer als solche erkennbare KI-Inhalte zu finden. Wer sich einmal auf der Plattform Tik-tok herumgetrieben hat, dem fiel beim schnellen Scrollen durch die Kurzvideos wo-möglich auf, dass da bei weitem nicht alles menschengemacht ist. Eine KI-generier-te Stimme hier, eine synthetische Person dort. Unten zwar oft klein als "KI-gene-riert" gekennzeichnet oder zumindest mit dem passenden Hashtag versehen, beim schnellen Scrollen jedoch leicht zu übersehen – selbst vermeintlich kreative Platt-formen scheinen von KI überschwemmt zu werden.

Doch schon lange vor Tiktok und Deepfake-Videos war Social Media nicht mehr ausschließlich von echten Menschen bevölkert. Bereits 2018 enthüllte eine Recher-che der New York Times, wie eine obskure amerikanische Firma namens Devumi über 3,5 Millionen Social-Media-Bots verkauft hatte – automatisierte Accounts, die täuschend echte Profile imitierten, inklusive Name, Profilbild und Biografie. Diese Bots verbreiteten rund 200 Millionen Tweets und wurden unter anderem von Pro-minenten, Influencern und Unternehmen gekauft, um Reichweite und Einfluss künstlich aufzublasen.

Wie steht es nun um unser Internet?

Ist das Internet also tatsächlich tot? Mit derart verallgemeinernden Aussagen ist höchste Vorsicht geboten. Schließlich können wir nicht alle Inhalte im Netz hand-fest auf deren Authentizität prüfen – einige durchgeführte Studien und wissen-schaftliche Untersuchungen deuten allerdings auf eine Tendenz zu einem zumindest "halbtoten" Internet hin.

Ahrefs – eine Firma, die hauptsächlich eine Suchoptimierung für Unternehmen, Marketer und Content-Creators anbietet – hat erst im April eine Analyse von 900.000 Webseiten veröffentlicht und dabei festgestellt, dass rund 74 Prozent neu aufgesetzter Webseiten zumindest einen Teil an nicht menschlich geschaffenem Content inkludieren. Knapp 2,5 Prozent sind laut Ahrefs sogar gänzlich computer-generiert, ungefähr 47 Prozent weisen eine "substanzielle KI-Nutzung" auf.

In eine ähnliche Richtung geht auch der jährlich durchgeführte Bericht der US-Firma Imperva von 2024. Das Unternehmen für Cybersicherheit untersuchte und erforschte die Art des automatisierten Internetverkehrs – hauptsächlich automati-sierte Bot-Angriffe. Dabei kam es zum Schluss, dass circa 49,6 Prozent jeglichen Internetverkehrs nicht menschlich sind – laut Imperva kratzen wir zumindest massiv an der Schwelle zum toten Internet.

Eine Frage der Übersetzung

Das flächendeckend womöglich größte Problem zeigt jedoch eine andere umfas-sende Studie von Amazon Sciences: die Flut an maschinell übersetzten Texten im Netz. Laut einer Analyse von über sechs Milliarden geschriebenen Sätzen im Inter-net, in über 90 Sprachen, stellte sich heraus, dass in vielen weniger vertretenen Sprachen große Teile des Webs aus automatisierten Übersetzungen englischer Originaltexte bestehen.

Dabei durchlaufen sie oft mehrere maschinelle Übersetzungsschritte – ein Prozess, der zu erheblichen Qualitätsverlusten führt: von Englisch nach Französisch, von Französisch nach Deutsch, von Deutsch nach Kroatisch, oft stilistisch künstlich, inhaltlich unpräzise oder gar schlicht falsch – ein Stille-Post-Prinzip. Das ist insbe-sondere kritisch, weil KI-Modelle wie ChatGPT genau aus diesen verzerrten Daten lernen. Stichwort "AI-Slop".

Stichwort "AI-Slop" – also minderwertige, oft automatisiert generierte Texte, die ohne redaktionelle Kontrolle massenhaft ins Netz gelangen. Geraten solche Texte in Trainingsdaten zukünftiger KI-Modelle, entsteht ein Kreislauf der Qualitätsver-chlechterung: Maschinen lernen von maschinellem Unsinn.

Müssen wir das Internet zu Grabe tragen?

Natürlich sind all diese Zahlen und Studien mit Vorsicht zu genießen und sollen die "Dead Internet Theory" nicht zur Wahrheit erklären. Die Erkenntnisse lehren uns jedoch eines: Sobald wir uns online bewegen, gilt es, die eigenen Sinne zu schärfen.

Das Internet ist demnach nicht tot – aber es ist dabei, seine Echtheit zu verlieren. Was als menschlicher Marktplatz der Ideen begonnen hat, wird mehr und mehr zu einer Spielwiese für die KIs. Zwischen Bots, Deepfakes, synthetischen Stimmen und automatisierten Übersetzungen wird es zunehmend schwieriger, das Echte vom Künstlichen zu unterscheiden.

Die "Dead Internet Theory" mag überspitzt sein, doch die Zahlen und Entwick-lungen der letzten Jahre deuten klar darauf hin: Wir stehen nicht vor einer digitalen Apokalypse, sondern mitten in einem schleichenden Wandel, bei dem der Mensch im Netz leiser wird – und der Algorithmus übernimmt. Die Frage ist nicht mehr, ob KI das Internet verändert. Sondern wie viel Mensch noch übrigbleibt. 

 

Nota. - Mit jedem Tag, da KI Content generiert, und das tut sie aus dem und haupt-sächlich für das Internet, wächst die Wahrscheinlichkeit, dass sie bei ihrer Suche auf Daten stößt, die sie selber eingegeben hat. Und da ihr Wirken im Internet wohl noch ein wenig rasanter wächst, als der menschliche Internet-Zugriff in den 2000er Jahren, wird schließlich der Tag kommen, wo sie selbst ihre eigene wichtigste Quelle ist. Sie mag die im Wortsinne phantastischsten Ergebnisse erbringen, ohne dass menschliche Intelligenz die Chance hätte, wenigstens ihre Wahrscheinlichkeit zu überprüfen; ganz zu schweigen von ihrer Wahrheit

Ist es aber statthaft, KI als ein Ganzes zu betrachten? Da sie sich selber im Internet nicht identifizieren lässt, ist sie nicht einmal das. Sie geht in der anonymen Masse der User unter. Sie ist nicht nur Ursache ihrer selbst, sondern weiß es nicht einmal. Das www "ist" ja auch schließlich nur virtuell.

Da kriegt man eine Gänsehaut.

PS. In der Sprache der Scholastik ist causa sui - Grund seiner selbst - Attribut des ens perfectissimum - des vollkommenen Seins; und das wiederum ist GOtt selbst.
JE 

Samstag, 25. Oktober 2025

Noch deutlicher geht nicht.

 Bildungsministerin Prien
aus tagesspiegel.de24. 10. 2025                                                                                 zu öffentliche Angelegenheiten

„Die Eltern gehören mit an Bord, lassen Sie mich das in aller Deutlichkeit sagen.“

 

 

 

Götz Aly: Wie war das möglich?

WS LW Sept 2025 WS LW Sept 2025 Der Historiker und Politikwissenschaftler Götz Aly, aufgenommen am 29.11.2017 in Berlin. Foto: Sophia Kembowski/dpa
aus welt.de, 24. 10. 2025                                                                                               zu öffentliche Angelegenheiten

Kraft durch Furcht.
Kaum jemand hat die Herrschaft des Nationalsozialismus so überzeugend erklärt wie Götz Aly. Seine Thesen, die er jetzt in Wien vortrug, gefallen weder Rechten noch Linken und nicht den Feministinnen. Nur der Katholizismus kommt halbwegs gut weg.

Von Magnus Klaue 

Das neue angesichts seines Umfangs von mehr als 700 Seiten von ihm ironisch „Opus Magnum“ genannte Buch von Götz Aly heißt „Wie konnte das geschehen? Deutschland 1933 bis 1945“. Im Wiener Jüdischen Museum machte Aly zu Beginn deutlich, dass die titelgebende Frage nicht raunend-moralisch, sondern empirisch, als Frage nach den infrastrukturellen, sozioökonomischen und mentalitätsgeschicht-lichen Voraussetzungen des Nationalsozialismus zu verstehen sei. Wie mussten sich die Institutionen des bürgerlichen Rechts, der Kirchen, der Fürsorge, der kommu-nalen Verwaltung, der Gewerkschaften, aber auch private und halböffentliche For-men von Nachbarschaftshilfe, Familie, Ehe und Freundschaft verändert haben, damit sich der „kollektive Bestialismus“ entfesseln konnte, als den Aly mit den Worten Thomas Manns den Nationalsozialismus beschrieb?

Alys Buchvorstellung im Rahmen der vom Simon-Wiesenthal-Institut für Holo-caust-Studien veranstalteten „Lectures“, versammelte wie in einem Prisma, was seine Arbeiten – vom 1984 mit Karl Heinz Roth veröffentlichten Buch „Die restlose Erfassung“ über Volkszählungen im Nationalsozialismus über „Hitlers Volksstaat. Raub, Rassenkrieg und nationaler Sozialismus“ (2005) bis zur 2015 erschienenen Studie „Volk ohne Mitte“ – stets als anstößig erscheinen ließ

WS LW Sept 2025 WS LW Sept 2025 Der Historiker und Autor Götz Aly kommt zu einer Pressekonferenz. Was war vor 70 Jahren anders als heute? Fast alles. Schneller zu beantworten ist die Frage: Was war ähnlich? Die Deutschen seien in einem jahrelangen «Heilschlaf» verfallen, sagte der Historiker Ende 2017 in einem dpa-Interview. (zu dpa «Kaum Wohnungen, kaum Autos, kaum Männer - Zeitreise ins Jahr 1949» vom 03.05.2019) +++ dpa-Bildfunk +++
Der NS-Staat als Schuldenstaat: Historiker Götz Aly

Der in Deutschland mittlerweile zur Staatsräson avancierte linke Antifaschismus, der den Nationalsozialismus trotz dessen Selbstbezeichnung als extremen Nationalismus und daher als „rechts“ rubriziert, stört sich an Alys zentraler Erkenntnis. Er zeigt, wie die in Deutschland und Österreich seit den Fünfzigerjahren mit großer Zustimmung der Bevölkerung etablierte Form des Sozialstaats Elemente der nationalsozialistischen Volkswohlfahrt mit ihrer Integration der Gewerkschaften in die Solidargemeinschaft und ihrer Sicherung bezahlter Urlaubs- und Krankheitstage übernommen hat. Der Nationalsozialismus ebenso wie der postnazistische Fürsorgestaat wies „sozialistische“ Charakteristika auf.

Konservative wiederum stören sich dran, dass Aly statt von „den Nationalsozialisten“ von „uns“ spricht, weil der Nationalsozialismus keine traditionelle Diktatur – keine der Bevölkerung oktroyierten Fremdherrschaft –, sondern eine mörderische Form der Volksherrschaft gewesen sei. Er sei kein Gegensatz zur Demokratie, sondern deren Produkt gewesen. Doch auch Feministinnen und Katholizismus-Verächter können mit den Einsichten, die Aly in Wien polemisch kondensiert darbot, wenig anfangen: Mit der Tatsache zum Beispiel, dass die Nationalsozialisten „arische“ Frauen durch beispiellose Reformen der Ehe- und Familiengesetzgebung in der Zeit seit dem Angriffskrieg auf Polen ökonomisch emanzipierten, indem sie ihnen am Einkommen der eingezogenen Ehemänner orientierte Unterhaltszahlungen gewährten. Auch die Bevölkerungsmassen, die sich an den seit 1941 verstärkt stattgefundenen öffentlichen Deportationen und Plünderungen jüdischer Einrichtungen beteiligten, bestanden wegen der kriegsbedingten Abwesenheit von Männern zu einer großen Zahl aus Frauen.

„Gemeinschaft auf Pump“

Als Residuum von Widerstand oder zumindest partieller Renitenz in der deutschen Bevölkerung machte Aly – auch dies eine unpopuläre Einsicht – statt der kommunistischen Untergrundgruppen, die es auch gab, vor allem die Katholiken aus. Während die evangelische Kirche schon vor 1933 gegenüber den Nationalsozialisten nicht selten vorauseilenden Gehorsam an den Tag legte, habe sich der Katholizismus, wegen seiner das Sakrale als Geheimnis schätzenden religiösen Praxis, gegenüber volksgemeinschaftlicher Agitation als spröde erwiesen. Mit der Diagnose der nationalsozialistischen Liquidierung von Privatheit hing auch die Pointe zusammen, die Aly dem Abend gab: die These, dass das „Deutsche Reich“ sich als totaler und tendenziell suizidaler „Verbrechenszusammenhang“ beschreiben lasse, der sich nur durch Inkaufnahme kollektiver Selbstzerstörung aufrechterhalten ließ.

So wie sich mit Beginn des in der deutschen Bevölkerung anfangs sehr unbeliebten Kriegs im Osten die innenpolitische Volkswohlfahrtsökonomie als unfinanzierbar und die Volksgemeinschaft als „Gemeinschaft auf Pump“, als Verschuldungsge-meinschaft erwies, so schweißte Aly zufolge der „Bestialismus“ die Volksgemeinschaft, die ihn trug, als potenzielle Selbstmordgemeinschaft zusammen. Da die begangenen Verbrechen menschliches Maß immer stärker überschritten, erschienen alle, auch die nur passiv Beteiligten, als Komplizen, die einander deckten und füreinander logen. Notfalls mussten sie in den Tod gehen, um die drohende Strafe zu vermeiden oder wenigstens nicht zu erleben.

Diese Logik fasste Aly unter der Formel „Kraft durch Furcht“ zusammen. Dass es zu jenem Strafgericht nicht kam, dass vielmehr die westlichen Siegermächte die Bundesrepublik nach und nach als Teil der zivilisierten Staatengemeinschaft anerkannten, von denen der Staat, dessen Rechtsnachfolger sie war, sich verabschiedet hatte, ermöglichte die Form der Geschichtsschreibung, für die Aly steht. Moralischen Besserdeutschen ist sie heute ein Ärgernis.

 

Nota. - Die Tragödie Deutschlands war, dass sich das sozialdemokratische Pro-gramm der Zivilisierung des Kapitalismus, das doch allein dessen Zukunft sein konnte, aus den momentan gegeben Bedingungen - Versailler Kriegsschulden und halb demokratische und halb preußische politische Verfassung - nicht umsetzen ließ; nicht zuletzt aber wegen der historischen Kompromittierung der Sozialdemo-kratie mit der Konterrevolution. Parlamentarische Mehrheiten waren nicht möglich, und hätten auch kaum die ersten Wochen überstanden: Das Land steuerte auf den Bürgerkrieg zu, und das war nicht durch Kompromiss, sodern nur durch vorängige Entscheidung zu verhindern: durch einen Gewaltstreich. 

Der Erste Weltkrieg war nicht wirklich durch Sieg und Niederlage zuende gegan-gen, sondern durch Erschöpfung auf beiden Seiten - wozu die Oktoberrevolution Revolution dort und die Novemberrevolutiom hier gehörten - auf die lange Bank geschoben worden. Das deutsche Kapital hatte gegen England - wer redete noch von Frankreich! seinen Platz an der Sonne nicht erkämpfen können. Doch Eng-land war nur mit amerikanischer Hilfe um Haaresbreite davongekommen und war seither Schuldner der Vereinigten Staaten.

Das deutsche Kapital konnte nur auf einen zweiten Waffengang hoffen, der die Ergebnisse des ersten korrigieren würde und den von England verwirkten ersten Platz auf dem Weltmarkt für Deutschland freimachen konnte. 

Dem stand zweierlei im Wege: die unvollendete und immer dringlichere Revolution in Deutschland und der Aufstieg der neuen Supermacht auf der andern Seite des Atlantik. Wem von den Herrschenden nicht der eine Gesichtspunkt reichte, den Nationalsozialismus zu fördern, den überzeugte der andere. 

So kam Hitler an die Macht; stilgerecht durch eine Parlamentsintrige und ohne alle Ergreifung.

Gesellschaftspolitisch war Hitlers Volksstaat nicht viel was anderes als Franklin D. Roosevelts New Deal  in Amerika, dem nur die Vorgeschichte seiner Demokrati-schen Partei mit ihrer rassistischen und regionalistisch-populistischen Tendenz im Wge stand  - dem die Republikaner traditionell als antirassistische, rechtsstaatliche und zentralistische Alternative entgegen standen.

Das musste Roosevelt umkehren. Ohne die Great Depression und die folgende Weltwirtschaftskrise wäre ihm das nie gelungen. Anstelle der Masse der Farmer im Mittelwesten galten ihm und seinem Vordenker John Dewey die Industriearbeiter als the People, ihr Populismus war nicht klassenkämpferisch, wohl aber klassenpo-litisch motiviert: der Aufstieg der Industriegewrkschaft CIO wurde zu ihrem Rückgrat.

Aber ohne Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg und den daraus folgenden Industrieboom wäre das Experiment jämmerlich gescheitert. Nun nämlich hatte die Zentralregierung in Washington alle Mittel in der Hand, Big Business in ihren Tross zu zwingen, indem sie ihnen Profite ermöglichte, von denen selbst Amerikaner bis dahin nur träumen konnten.
 JE

 

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