Freitag, 31. März 2023

Typisch deutsch verschaltet.


aus spektrum.de, 30. 3. 2023                                                   
Die Diffusions-Tensor-Bildgebung, eine Form der Magnetresonanz-tomografie, macht die Verdrahtung von Hirnarealen sichtbar                                                                         zu Jochen Ebmeiers Realien 

HIRNANATOMIE
Typisch »deutsch« verschaltet
Deutsch und Arabisch haben beide ihre Tücken, aber in unterschiedlicher Weise. Das zeigt sich auch im Gehirn: Die Sprachnetzwerke passen sich den besonderen Eigenschaften der Muttersprache an.

von Christiane Gelitz   

Sprachen können auf unterschiedliche Weise schwierig sein: Arabisch etwa ist schwer zu lesen, weil einige Laute nicht geschrieben werden. Und der deutsche Satzbau ist so kompliziert, dass man leicht den Überblick verliert. Beides spiegelt sich in der Hirnanatomie, berichtet eine Forschungsgruppe vom Max-Planck-Institut (MPI) für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig in der Fachzeitschrift »NeuroImage«. Demnach tragen die speziellen Anforderungen der Muttersprache dazu bei, dass sich bestimmte Sprachzentren besonders stark austauschen und entsprechend breite Kommunikationswege anlegen.

Das Team um den Hirnforscher Alfred Anwander und seine Doktorandin Xuehu Wei hatte Hirnscans von knapp 50 gesunden Erwachsenen mit deutscher oder arabischer Muttersprache angefertigt. Dazu verwendeten die Forschenden eine Technik der Magnetresonanztomografie namens Diffusions-Tensor-Bildgebung, die misst, wie sich Wassermoleküle im Hirngewebe fortbewegen. So wird die weiße Substanz sichtbar – jene Bündel von Nervenfasern, mit denen sich die Neurone (die graue Substanz) der Großhirnrinde über weite Strecken miteinander verschalten.

Bei den Versuchspersonen mit deutscher Muttersprache fanden sie stärkere Verbindungen im Sprachnetzwerk der linken Hemisphäre, wo die Sprache ihren Hauptsitz hat. Dass das Deutsche dort besonders breite Kabel braucht, könnte mit seinem komplexen Satzbau zu tun haben: Die Stellung vieler Wörter im Satz ist vergleichsweise frei, und selbst zusammengehörige Wörter können weit entfernt stehen. Das linke Broca-Areal – das Grammatikzentrum – sei sehr »sensibel« für komplexe deutsche Satzstrukturen, und die linke untere Frontallappenfurche stelle Gedächtniskapazitäten bereit, die es braucht, um weit entfernte abhängige Satzelemente gedanklich zu verbinden.

Das Arabische birgt wiederum andere Herausforderungen. Anders als im Deutschen stellt die arabische Schrift nicht jeden Laut mit einem eigenen Zeichen dar; die kurzen Vokale fehlen oft. Beim Lesen müssen Aussprache und Bedeutung eines Wortes dann aus Kontext und Vorwissen erschlossen werden, und zu diesem Zweck ist die rechte Hirnhälfte verstärkt beteiligt. Und das hinterlässt Spuren, etwa im Corpus callosum, der Hauptbrücke zwischen den Hemisphären: »Arabische Muttersprachler zeigten eine stärkere Vernetzung zwischen linker und rechter Gehirnhälfte als deutsche Muttersprachler«, berichtet Alfred Anwander in einer Pressemitteilung des MPI. Verstärkte Verbindungen stellten er und sein Team auch zwischen semantischen Sprachregionen im Schläfen- und Scheitellappen fest. Das könne »mit der relativ komplexen semantischen und phonologischen Verarbeitung im Arabischen zusammenhängen«.


Sprachnetzwerke | Bei den Versuchspersonen mit deutscher Muttersprache sind die Verbindungen innerhalb der linken Hirnhälfte stärker, bei denen mit arabischer Muttersprache die zwischen den Hemisphären.


Es gab bereits erste Studien, die typische neuroanatomische Merkmale für unterschiedliche Sprachen gefunden haben. Dabei handelte es sich jedoch um kleinere Stichproben und andere Sprachen wie das Chinesische und Englische. Bekannt ist auch, dass sich graue und weiße Substanz beim Lernen einer Fremdsprache verändern. Die vorliegende Studie dokumentiert Unterschiede zwischen zwei größeren Stichproben von Muttersprachlern. Als Nächstes will die Forschungsgruppe untersuchen, was sich im Gehirn arabischsprachiger Erwachsener tut, wenn sie sechs Monate lang Deutsch lernen.

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