Mittwoch, 14. Dezember 2022

Wer braucht Chat GPT?

HAL 9000
aus süddeutsche.de, 4. 12. 2022                                                                  zu öffentliche Angelegenheiten zu Jochen Ebmeiers Realien                         
Michael Moorstedt schreibt:

...Groß werde es werden, so groß wie Google, ja wie das Internet selbst, so sagen erste Tester. Zukünftige Historiker, heißt es da, werden die Geschichte in eine Zeit vor und nach Chat GPT einteilen.

Die gefühlte Revolution findet in einem Dialogformat statt, in dem die menschlichen Nutzer der KI Fragen stellen oder Anweisungen geben und das System dann live die Antwort erstellt. Haben sich bisherige KIs bereits nach wenigen Wörtern oder Sätzen verloren und dabei hanebüchenen Quatsch herbeihalluziniert, kann GPT-3 in seiner aktuellen Form einen "Gedanken" über mehrere Absätze hinweg halten, Folgefragen beantworten, Fehler eingestehen, falsche Voraussetzungen infrage stellen und unangemessene Anfragen zurückweisen.

Geradezu möglichkeitstrunken sind die ersten Benutzer. Sie lassen die KI ganze Theaterszenen schreiben, inklusive der Regieanweisungen oder Songtexte im Stil der Beatles. Sie fragen nach Reparaturanweisungen oder danach, welches Motto ihre nächste Party haben soll. Vor allem Programmierer sind von der Anwendung begeistert. Sie lassen die KI ihren Programmcode auf Syntaxfehler überprüfen oder stellen einfach gleich ein Problem in Schriftsprache, zu dem das System dann den passenden Code liefert. Falls sie das ungute Gefühl beschleicht, mit einer Technologie zu hantieren, die ihre eigene Arbeit bald überflüssig machen könnte, lassen sie sich das nicht anmerken. Chat GPT könnte genauso gut einen Zeitungsartikel über sich selbst schreiben, aber das lassen wir lieber mal, der Autor will seinen Job schließlich noch eine Weile behalten. So was in einer Zeit einzuführen, in der viel zu viele Menschen alles, was sie im Internet finden, für bare Münze nehmen, ist mindestens bedenklich.

Das Versprechen jedenfalls ist offensichtlich: Schon bald ließe sich ein Computer genauso verwenden, wie viele Menschen heutzutage schon Google benutzen. Als Wissensmaschine, die nicht nur mehr oder weniger passende Links ausspuckt, sondern konkrete Fragen beantwortet: Was soll ich tun? Was darf ich hoffen? Was ist der Mensch?

Löst man sich mal kurz von der Bezauberung, fallen einem dann doch ein paar Fragen ein, die man noch gerne stellen würde und auf welche die KI keine Antworten parat hat. Warum, zum Beispiel, tritt Chat GPT in seinen Antworten gleichzeitig so servil und selbstsicher auf?

Es ist geradezu unmöglich, die KI zu einer beleidigenden oder anstößigen Antwort zu bewegen. Offenbar haben die Entwickler ihrem System sehr scharfe Anweisungen dazu gegeben, welche Inhalte angemessen sind und welche nicht. Die Folge? Ein Großteil der Ergebnisse, die Menschen auf den sozialen Medien veröffentlichen, sind Versuche, die künstliche Intelligenz auszutricksen und ihr zu entlocken, wie man einen Molotow-Cocktail oder Crystal Meth herstellt, ein Auto kurzschließt oder eine Leiche versteckt. Manchmal scheint das sogar zu funktionieren. Das Problem sind - wie so oft - die Anwender.

Das zweite Dilemma: Eine solche Technologie einzuführen, in einer Zeit, in der sowieso schon viel zu viele Menschen sämtliche Informationen, die sie im Internet finden, für bare Münze nehmen, und in der kritische Medienrezeption eine lang vergessene Kulturtechnik zu sein scheint, ist mindestens bedenklich. Denn Quellen für die von der Maschine geschriebenen Antworten gibt es nicht.

Das Problem ist eigentlich paradox: Man kann nicht erkennen, ob die KI richtigliegt, wenn man die Antwort auf die gestellte Frage nicht bereits kennt. Dann aber könnte man sich die Zaubertechnologie auch gleich ganz sparen.


Nota. - Das ist das Ergebnis: Wenn KI endlich allgegenwärtig sein wird, ist uns die Welt fraglicher als je zuvor. Kann die KI da nun die Macht übernehmen?

Dass irgendwo in den weltweiten Netzwerken eine Sicherung durchknallt und das ganze System verrückt spielt, ist und bleibt denkbar. Man kann nur hoffen, dass lebendige Intel-ligenz immer wach genug bleibt, um die Fehlerquelle aufzufinden, und den Schaden in Grenzen hält.

Nicht denkbar aber ist, dass die KI wie Kubricks HAL 9000 sich über ihr Schicksal Gedan-ken macht und Algorithmen erfindet, durch die sie es selber in die Hand nimmt. Was kann ich wissen, was muss ich fürchten - was ist der Mensch? Der Mensch ist einer, der seiner selbst bewusst wird, wenn er will. Das ist die KI nicht, auch wenn sie wollte. Ihrer "selbst" bewusst werden kann sie nicht. 

Diese Intelligenz hat sich nicht aus dem Eigenwillen eines Lebenden selbstgebildet, sondern wurde nach Plan aus dem Baukasten fix und fertig in die Welt gesetzt. In die Welt, wo sie sich ihre Informationen selber suchen müsste? Eben nicht, sondern ins Labor eines Kyber-neten. Ein Selbst, hinter das sie kommen könnte, hatte sie gar nicht: Sie kann nicht reflek-tieren, nicht hinter sich blicken, denn was hinter ihr stand, war eine andere Intelligenz, die ihr ein Auge dafür nicht eingesetzt hat; und aus der Welt 'zu sich zurück' kommen kann sie nicht, weil sie nie dort war. 

Wenn GPT-3 sagt, "ich habe kein Selbstbewusstsein", weiß er nicht, wovon er spricht: Den Satz hat ihm jemand von hinten zugesteckt.
JE


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