Samstag, 31. Dezember 2022

Helen Frankenthaler in Essen.


aus FAZ.NET, 29. 12. 2022                                                            Frankenthaler Provincetown Harbor (1950).

Offenbarung mit fließender Farbe
Ihre Zauberformel lautete: Färben durch Einsickern. Die Werke der New Yorker Malerin Helen Frankenthaler sind jetzt im Museum Folkwang in Essen zu sehen.

von GEORG IMDAHL  

Selten wurde in Europa das Werk von Helen Frankenthaler ausgebreitet. Auch in einschlägi-gen Gruppenausstellungen über die amerikanische Farbfeldmalerei kam es kaum vor, als einzige Malerin in dem kanonischen, 1958 durch Europa tourenden Panorama „The New American Painting“ war ihre New Yorker Freundin und Kollegin Grace Hartigan vertreten. Das verhaltene Interesse an Frankenthalers Bildern ist erstaunlich, denn dem Color Field Painting hat die Künstlerin in den frühen Fünfzigerjahren mit einer malerischen Entdek-kung neue Wege erschlossen, weshalb sie als Gamechanger im Nachgang des Abstrakten Expressionismus gilt. Die Zauberformel lautet „Soak Staining“: Färben durch Einsickern.


Verdünnte Farbe schüttete Frankenthaler auf die ungrundierte, ihr zu Füßen liegende Leinwand, auf dass sie sich, nur bedingt kontrollierbar, darauf ausbreite. Dann ging die Malerin mit unterschiedlichen Instrumenten zu Werke, zog besenbreite Pinsel, Abzieher, Schwämme oder ihre flache Hand durch die Farblachen, um auf diese Weise sehr unkonventionell zu malen. Ihre Farbfelder wirken häufig wie träumerische Nachbilder, muten wie Aquarell an; betörend und blässlich, scheinen die Farben zu halluzinieren, geraten in Trance.


Impulse erhielt die 1928 in New York geborene Senkrechtstarterin durch zwei Ausstellungen von Jackson Pollock 1950 und 1951 in der Galerie Betty Parsons – dessen Dripping hatte die junge Malerin auf die Idee gebracht, die Farbe nicht nur zu tröpfeln, sondern in größeren Dosen bei der Bildentstehung einzusetzen. Auch Pollocks späte, kalligraphische Bilder, die als dessen Abstieg angesehen werden, wusste Frankenthaler zu schätzen, ihr eigenes Werk hielt denn auch bis zuletzt die Tuchfühlung zur sichtbaren Welt. Lebhaft schildert Alexander Nemerov in seiner 2021 erschienenen Biografie, Frankenthaler habe das Bild ihres Durchbruchs – „Mountains and See“ – wochenlang in sich getragen, bevor sie es im Oktober 1952 auf die Leinwand brachte. Clement Greenberg, Frankenthalers damaliger Lebensgefährte und wortmächtiger Kritiker (er selbst dilettierte als Maler an ihrer Seite), lud damals Morris Louis und Kenneth Noland ins Atelier der Künstlerin ein, beide waren restlos überzeugt von der Technik der geschütteten Farbe und machten sie sich zu eigen. Frankenthalers Malerei, bemerkte Louis, sei eine „Offenbarung“, die „Brücke zwischen Pollock und dem, was möglich sei“. Was möglich war, demonstrierten Louis und sein Kollege Noland in der amerikanischen Farbfeldmalerei der Sechzigerjahre – dank „Soak Staining“.

Frankenthalers Malerei auf Papier, angereichert mit einer kleinen Auswahl an Gemälden, entfaltet jetzt das Museum Folkwang Essen mit vierundachtzig Werken in einer Retrospektive von 1949 bis 2002. Was auf Papier an vollgültiger Malerei möglich ist, haben zuletzt die frühen landschaftlichen Aquarelle von Georgia O’Keeffe in ihrer Ausstellung in der Fondation Beyeler vor Augen geführt. Papier mag nicht so saugfähig wie Textil sein, aber auch hier tut Frankenthalers Technik der Farbexpansion ihren Dienst. Was sie malt, ist keine Angelegenheit von tragischer Romantik und transzendentaler Erhabenheit, die mit der New York School assoziiert wird. Statt wabernd romantischer Unschärfe zieht sich ein Flow von Klarheit und Leichtigkeit durch ihre besten Bilder.modernistischer Malerei zu Wort meldete, ist der Einstieg über spätkubistische und surreale Kompositionen, von denen sich Frankenthaler 1951 mit dem wässrigen Blatt „Great Meadows“ emanzipiert, bevor sie kurz darauf in stattlichen Formaten eine entspannte Gestik an den Tag legt. So bei einer auf Rollostoff gemalten „Jalousie“ von 1952: Darauf kritzelt sie, als sei zeichnerisches Können völlig zweitrangig, was gerade heute ausgesprochen zeitgenössisch anmutet. Aber was als beiläufiges Notat anmutet, ist durch Farbe und Formenbalance eben doch zum Bild arrangiert – gekonnt und lässig.


Helen Frankenthaler Billboard Study“(1966)


Es folgen bisweilen wüste Mischungen aus Fleckenmalerei, gesprenkelter, gesprühter und eben gegossener Farbe; in den Sechzigern dominiert der klassische, lichte Frankenthaler-Stil mit einfachen, aber wirkmächtigen Farbterritorien in hellem Raum, dem starken Kon­trast von Figur und Grund, dem wässrigen Farbverlauf und der Erinnerung an die Landschaft wie in der großartigen „Grotto Azura“ von 1963. Selbst die banale Assoziation eines Blumentopfs nimmt dem Bild „Evil Spirit“ (Böser Geist) nichts von seiner Präsenz und Wirkmacht.

An einem „Signature Style“ war Frankenthaler sichtlich nicht gelegen, wie die weiteren Jahrzehnte dieser Rückschau bezeugen, Regeln kenne sie nicht, ihr gehe es um Improvisation und Risiko, stellt sie selbstbewusst fest – alles müsse möglich sein, sogar „etwas Hässliches“. Man möchte es der Malerin hoch anrechnen, dass sie nicht bei „lyrischer Leichtigkeit und atmosphärischer Duftigkeit“ stehen bleibt, die ihr im Katalog bescheinigt werden. Tatsächlich aber schleicht sich in den Siebzigerjahren ein regressives Moment in ihr Œuvre ein, der Duktus der Malerei erscheint in diversen Blättern konventionell. Die waagerechte Linie als Chiffre der Landschaft, so häufig sie eingesetzt wird, wirkt stereotyp; manches Informel, auch auf farbiges Papier gebracht, ist regelrecht zugemalt und bei allen Sprüngen, die die Malerin sich in ihrem Zickzackkurs gönnt, verwechselbar. In ihren späten, weitgehend monochromen Großformaten um das Jahr 2000 tritt Frankenthaler in Dialog mit Klassikern des Fachs, malt nach William Turner, James McNeill Whistler, Rembrandt. Da ist viel alte Schule und einiges an Pathos in den Farbräumen und ihrer spätmodernistischen Erinnerung.


Helen Frankenthaler. Malerische Konstellationen. Museum Folkwang, Essen; bis 5. März 2023. Der Katalog kostet 29,80 Euro.


Nota. - Ein Künstler, der nicht nachzumachen versuchte, was ihm die Kollegen soeben vorgemacht haben, wäre ziemlich beschränkt, und das ist in ästhetischer Hinsicht noch fataler, als in kognitiver. Ebenso beschränkt wäre er, wenn er dabei bliebe, statt selber etwas rauszuholen, was vorher nicht zu sehen war.

Dass ein Rezensent an einem Künstler dasjenige heraushebt, was ihm am besten gefällt, ist nicht bloß in Ordnung, sondern ist, was man von ihm erwarten darf. - Helen Frankenthaler hat sich auch auf Avantgarde nicht festgelegt, was man ihr anrechnen muss. "Ihre Zauber-formel lautete: Färben durch Einsickern" ist ein nachträgliches Geschmacksurteil des Rezen-senten. Diesem Künsterinnenleben wird es nicht gerecht.
JE


Und wieder kracht's.


Freitag, 30. Dezember 2022

Konversation und Gleichtakt der Gehirne.

aus spektrum.de, 29. 12. 2022                                                                      zuJochen Ebmeiers Realien

Aus dem Gleichtakt gebracht
Warum ist ein Videocall anstrengender als ein persönlicher Plausch? Womöglich, weil die Hirnaktivitäten der Gesprächspartner bei einer digitalen Unterhaltung weniger synchron sind
.

von Anton Benz

Die Hirnaktivitäten von Mutter und Tochter laufen in einem Videocall weniger synchron als bei einem Gespräch von Angesicht zu Angesicht. Das berichtet die Gruppe um Ruth Feld-man von der Reichman University in Israel. Die im Fachmagazin »Neuroimage« veröffent-lichten Ergebnisse könnten erklären, warum digitale Gespräche so kräftezehrend sind.

70 Mutter-Tochter-Paare sollten sich über positive Themen wie die Urlaubsplanung frei unterhalten. An der Kopfhaut angebrachte Elektroden zeichneten währenddessen ihre Hirnaktivität auf. Einmal saßen sich die Teilnehmerinnen dabei gegenüber und einmal liefen die Gespräche als Videokonferenz ab. In der Kontrollbedingung befanden sich beide im selben Raum, sie durften jedoch weder miteinander reden noch sich anschauen. Kommu-nizierten die Paare miteinander – direkt oder via Bildschirm –, so waren ihre Hirnwellen stärker synchronisiert


In der Vis-a-vis-Bedingung konnten die Wissenschaftler neun Regionen mit erhöhter Hirn-Hirn-Konnektivität ausmachen. Kommunizierten die Paare per Fernschaltung, bestand nur noch eine dieser Verknüpfungen. Mit dem Gleichtakt der Gehirne gingen bestimmte soziale Verhaltensweisen einher, allerdings nur, wenn sich die Versuchspersonen auch direkt anse-hen konnten. Kommunizierten Mutter und Kind mit Blicken, arbeiteten ihre rechten Schlä-fenlappen im Gleichschritt. Die frontalen Bereiche synchronisierten sich, wenn die Tochter Empathie zeigte. 

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Das Team entschied sich für diese besondere Gruppe, weil sich die Gehirne von vertrauten Personen stark koppeln. Es sei bei Müttern und Töchtern also wahr-scheinlich, dass sich die Muster auch auf Videokonfe-renzen übertragen. Möglicherweise führt die fehlende rhythmische Gleichschaltung im Videocall zu einer kog-nitiven Überlastung, weil man sich weniger auf nichtverbale Kommunikation verlassen kann. Das mag zum Phänomen der »Videokonferenz-Erschöpfung« beitragen.


Der Teufel hockt immer auf dem größten Haufen.


aus FAZ.NET. 29. 12. 2022                                                                                            zu öffentliche Angelegenheiten
Mehr als fünf Millionen Beschäftigte arbeiten im öffentlichen Dienst
Bund, Länder und Gemeinden verzeichnen einen kräftigen Stellenzuwachs. Immer mehr staatliche Aufgaben werden geschaffen.


N
ach einem deutlichen Stellenzuwachs im öffentlichen Dienst hat die Zahl der Beschäftig-ten von Bund, Ländern und Kommunen die Fünf-Millionen-Marke überschritten. Dort ar-beiteten 2021 rund 5,096 Millionen Beschäftigte, wie aus dem am Donnerstag veröffent-lichten „Monitor öffentlicher Dienst“ des Beamtenbunds DBB hervorgeht. 2020 waren erst knapp 4,97 Millionen Menschen bei Bund, Ländern und Kommunen beschäftigt. ...

Aus Sicht vieler Beschäftigter im öffentlichen Dienst ist es widersinnig, dass einerseits seit Jahren Bürokratieabbau angekündigt wird, gleichzeitig aber mehr staatliche Aufgaben ge-schaffen werden. Auch die erwartete Entlastung durch Digitalisierung sei bislang ein leeres Versprechen. Die Digitalisierung der Verwaltung komme „einfach nicht aus den Startblök-ken“, kritisierte der DBB-Chef in einer Mitteilung vom Donnerstag. Der Grund dafür liege nicht bei den Beschäftigten des öffentlichen Dienstes, „sondern am politischen Kompe-tenzchaos“. Dieses Chaos sorge dafür, dass Deutschland weiterhin eine „Offline-Republik“ sei. 

  • Über die Bürokratie.
  • Nota. - Wenn die Vielen, die nicht wissen, was sie mit sich anfangen sollen, und verlegen-heitshalber in den Öffentlichen Dienst mehr sickern als drängen, dank eines Bedarfsunab-hängigen Grundeinkommens sichs besser überlegen müssten und könnten, würde aus manch einer:m von ihnen vielleicht noch ein nützliches Glied der menschlichen Gemein-schaft.

    JE

    Mittwoch, 28. Dezember 2022

    Auch die Vernunft hat einmal klein angefangen.

             zu öffentliche Angelegenheiten
    aus FAZ.NET, 28. 12. 2022                                 Das genaue Gliedern der Ge­danken hatte Boineburg von seinem Lehrer Conring gelernt. Auf einer leeren Seite in dessen Buch zur germanischen Geschichte des Reiches entwarf er das Inhaltsverzeichnis seines Irrtumsbuches.

    VOM NUTZEN DER IRRTÜMER

    Ein Buch, das die Welt gut hätte gebrauchen können

    von MARTIN MULSOW

    So hatte er’s ja auch gemacht, aber es kam ihm falsch vor: Unter dem Eindruck des Dreißigjährigen Krieges entwarf der Diplomat Johann Christian von Boineburg ein Buch über den Nutzen der Irrtümer.

    Die Universitätsbibliothek Erfurt verwahrt die Bibliothek von Johann Christian von Boineburg: zehntausend Bücher, und in fast jedem finden sich Unterstreichungen, Marginalien, Hinweise auf andere Bücher, Inhaltsverzeichnisse von geplanten Werken, ja sogar handgeschriebene Teile solcher Werke in eingebundenen Zettelkonvoluten. Boineburg, der am 12. April 1622 geboren wurde, war nach dem Dreißigjährigen Krieg der wichtigste Berater des Mainzer Kurfürsten und damit bis zu seinem Sturz 1664 einer der maßgeblichen Politiker im Reich, ja einer der Architekten der Nachkriegsordnung. In seinen späteren Jahren agierte er gezwungenermaßen als Privatier, wurde Mentor des jungen Leibniz und setzte sich für eine irenische Überwindung der konfessionellen Spaltung Deutschlands ein. Außerdem animierte er seine gelehrten Freunde, das Naturrecht von Hugo Grotius dezidiert als christliches Naturrecht zu kommentieren und auszugestalten.


    Eines der in den Vorsätzen der Bücher notierten Inhaltsverzeichnisse erweckt besonderes Interesse. „De usu errorum“ sollte ein Werk Boineburgs heißen, das aber nie erschienen ist, vielleicht auch nie vollendet wurde. Der viel beschäftigte Politiker war ein Netzwerker, ein Projektierer, ein Büchernarr, aber kein ge­duldiger Ausarbeiter von großen Folianten. An einem Buch über Irrtümer also arbeitete er. Wie soll man diesen „usus“ übersetzen? Ist es nur der Gebrauch oder auch der Nutzen? Oder sollte man es – anachronistisch modern – mit dem Begriff der Rolle versuchen: Die Rolle von Irrtümern in politischen Angelegenheiten? Oder gar: die politische Funktion und Funktionalisierung von Irrtümern? Dann könnte Boineburgs Analysen über all die Veränderungen von vier Jahrhunderten hinweg Aktualität zuwachsen. Wäre eine politische Funktionsgeschichte des Irrtums nicht ein beklemmend akutes Desiderat?

    Je mehr Korruption, desto mehr Juristen

    Versuchen wir, aus den fragmentarischen Inhaltsverzeichnissen ein Bild vom Inhalt des Werkes zu erhaschen. Da begeben wir uns unversehens auf eine Schnitzeljagd durch die Bibliothek, bei der die Lesespuren in einzelnen Werken auf immer andere Teile der Bibliothek verweisen. So hatte der vierundzwanzigjährige Boineburg 1646 – die Friedensverhandlungen in Münster und Osnabrück waren in vollem Gange – die pseudonym erschienene Abrechnung von Bogislaw von Chemnitz mit den Strukturen des Alten Reiches, Dissertatio de ratione status in Imperio nostro Romano-Germanico, gekauft. Im Spätherbst 1647 nahm er sich das Buch wieder vor.

    Chemnitz be­klagt, dass das Reich „sich selbst unähnlich“ geworden sei, denn die alten Freiheiten und Selbstbestimmungen seien vom römischen Recht überlagert und von der kaiserlichen Macht beschnitten worden. Eine ganze Kaste von Interpreten des Justinianischen Kodex sei aufgetreten und habe es sich in den Verwaltungen bequem gemacht. „Von daher“, schreibt er, „gibt es wie in einem völlig korrupten Staat viele Gesetze und viele Juristen. Von daher gibt es zwischen Privatpersonen zahllose Streitigkeiten, und im öffentlichen Be­reich abhanden gekommene Glaubwürdigkeit.“ Boineburg streicht sich das an und notiert am Rande, was das Privatrecht angeht: „Man vergleiche Diodor Tuldens ‚De causis corruptorum judiciorum eorumque remediis‘“.

    Das war das Buch eines Professors in Löwen, der höchst detailliert die Juristenzunft kritisiert hatte und Verbesserungen der Verwaltung vorschlug. Hat Boineburg das Buch besessen? Ja, aber erst nachdem er vergeblich seinen Freund Zacharias Prüschenck bekniet hatte, es ihm auszuleihen. Der Geheimrat aus Eisenach antwortete ihm, dass er den Band nicht entbehren könne: „Wenn ich hier die Laster des Richters aushalten muss, dient mir das Buch immer als Erinnerung, nicht zu sehr in der Ursachenbestimmung über die Grenzen des Guten und Billigen hinauszugehen.“ So kaufte sich Boineburg das Werk selbst und war befriedigt: „Wenn ich zuhause bin, lese ich voll Freude in Tuldens großartigem Buch.“ Boineburg hielt sich damals in Gießen auf. Er arbeitete zwischen dem 10. und dem 25. November die Schrift durch und notierte sich das auf der Schlussseite. Wie gewohnt unterstrich er dick mit Tinte.

    Zeit zum Lesen hatte er. Denn man hatte ihn soeben all seiner Aufgaben entbunden und sogar kurzzeitig inhaftiert. Sein Arbeitgeber hatte ihn als neutralen Unterhändler im „Hessenkrieg“ eingesetzt, einem Erbstreit zwischen Hessen-Darmstadt und Hessen-Kassel. Der Streit war dadurch entstanden, dass der Landgraf von Hessen-Marburg 1604 ohne Erben gestorben war und sein Territorium unter den beiden anderen Linien aufgeteilt wurde. Nie konnte man sich endgültig darüber einigen, wer was bekommen sollte, und dann verquickte sich der Konflikt auch noch mit dem Dreißigjährigen Krieg. Da die lutherischen Darmstädter kaisertreu waren, die calvinistischen Kasseler aber mit den Schweden paktierten, kämpften die Hessen auf zermürbende Weise gegeneinander. Es gab Tote, Hunger, Misshandlungen, Gängeleien. Jetzt, 1647, war man kriegsmüde, und in Münster und Osnabrück liefen bereits die Verhandlungen zum Frieden im Reich.gs Brotherr, Johann von Hessen-Braubach, hatte sich angeboten, zwischen den verfeindeten Linien der Dynastie zu vermitteln, denn er stand tatsächlich zwischen den Fronten. Er war ein jüngerer Bruder von Landgraf Georg II. von Hessen-Darmstadt, der ihn als Zweitgeborenen mit einer kleinen Herrschaft am Rhein um Braubach herum abgefunden hatte; da Johann unzufrieden war, näherte er sich den Schweden, die Hessen-Kassel unterstützen, und geriet so in eine Mittelstellung. 1645 hatte er den jungen Boineburg nach Schweden geschickt, um dort die Hessische Sache zu verhandeln; dann im Sommer bekam Boineburg die wichtige Aufgabe, für Hessen-Darmstadt in Kassel einen Vertrag auszuhandeln, der endlich den Streit um Marburg regeln sollte – sein erster großer Fall. Boineburg tat das, aber dem Darmstädter Landgrafen waren die Ergebnisse viel zu mager. Er geriet in Rage und feuerte den jungen, manchmal zu arrogant und eigenmächtig agierenden Juristen.

    In dieser Lage las Boineburg jetzt Bücher über politische Missstände im Reich. Schon im April hatte er in einem Brief an seinen Freund Dieterich seitenlang geschimpft: „Die meisten unserer Landsleute sind Eiferer, die keinerlei Urteilskraft besitzen, mit der sie Dinge auseinanderhalten und unterscheiden könnten, Witzfiguren, sündhafte Magnaten. Die, weil sie nichts richtig gelernt haben, die ganze Welt mit ihrer Ignoranz und mehr als papistischen Starrheit betäuben. Sie sind die eigentlichen Anstifter der Streitigkeiten und Aufwiegler zum Krieg, solche, die einen Prozess durch unwahre Erfindungen in die Länge zu ziehen versuchen!“ Auch die Theologen mit ihren apokalyptischen Hasspredigten gehörten dazu.

    Die Voraussetzungen, eine Vorteilslösung für die eigene Seite zu erwirken, dürfte Boineburg da wohl selbst als schlecht beurteilt haben. Im November 1649 schrieb er: „Oh, wie laufen die Hessischen Angelegenheiten aus dem Ruder! Die Welt ist erfüllt von Dummheiten, Irrtümern und Lastern, voll von entsprechendem Ungeschick und Ruchlosigkeit. Wer ist deshalb, lass hören, sicher unter dem geringen Dienst bei unseren Leuten?“

    Der junge Mann und Büchersammler sah eine enge Verbindung zwischen Unbildung und politischer Barbarei. Auf beiden Seiten erkannte er, wie er dem Freund mitteilte, „unendlich viele Fehler und Wahnsinnigkeiten in der Zivilverwaltung“, die sogar den einfachen Leuten ins Auge fielen, und vor allem einen „verkommenen Geist“, durch den alles erst möglich geworden sei. Das gab ihm die Idee zu seinem Buch: Man müsse die Rolle der Fehler und Irrtümer im politischen Bereich in aller Detailliertheit analysieren, dann nach Abhilfe suchen und vor allem das Land von Grund auf reformieren, durch mehr Bildung und eine tolerantere Form von Religion.

    Boineburg blätterte in Tuldens Buch und notierte auf dem Vorblatt mit seinem Stift, was ihm an Parallelen einfiel: „Gleich mit Doktor D. Tulden ist die Ansicht von Johann Oldendorp, zuvor die unseres Friedrich Hortleder, und von Bolognet, Budé, Matheacius und Winkler.“ Oldendorp war ein Hamburger Verwaltungsjurist gewesen, der alles daransetzte, die „Ursachen der Verbiesterung“ der Menschen aufzudecken, wie er es nannte, um zu einer guten Policey-Regelung zu kommen. Von Oldendorp wird man schnell auf Hermann Conring verwiesen, Boineburgs Helmstedter Lehrer, den großen Juristen, Historiker und Mediziner.

    Im Zweifel für die Stände

    In dessen Schrift vom Heiligen Römischen Reich der Deutschen notierte sich Boineburg Teile des Inhaltsverzeichnisses seines entstehenden Werks. Und er verriet Prüschenck, wie das eigene Buch aufgebaut werden sollte: Erst ein Teil zu Irrtümern bezüglich des Reichs und der Regierung. Das wäre eine Korrektur in der Art von Chemnitz, die im Zweifel die Reichsstände stärkt. Unterkapitel sollten etwa zeigen, wie aus Irrtümern Kriege oder Revolutionen entstehen; wie die Gewöhnung an Irrtümer den schlechten Regierenden hilft, an der Herrschaft zu bleiben; oder wie Irrtümer den Magistraten nützen, um sich Vorteile gegenüber den Untertanen zu verschaffen.

    Boineburg beschäftigte sich bewusst nicht mit den Fürsten selbst, sondern mit der Ebene darunter, die er so gut aus eigener Anschauung kannte: die der Räte und Verwaltungen. Dort, so meinte er er­kannt zu haben, nisten sich die Irrtümer besonders nachhaltig ein; dort sei anzusetzen, um sie loszuwerden. Dann – zweiter Teil – etwas zur Freiheit. Ge­meint war die „Libertät“, ein Stichwort, mit dem die Rechte von Untertanen, Städten und Ständen gegen die Fürsten und ihre absolutistischen Allüren be­schworen wurden.

    Das dritte Buch war als ein Sammelsurium gedacht, in dem es um Religion und Kirchenordnung ging, aber auch um „literarische Dinge, Akademien, die Pflege der gesamten Bildung, Frömmigkeit, Tugend, Volkserziehung“. Da sollte zweifellos der Grund gelegt werden für eine stabilere Mentalität, die gefeit gewesen wäre gegen all die schnellen und verführerischen Irrwege. Buch vier: Verbesserung der Rechtsangelegenheiten. Boineburg wollte die Kniffe der Juristen bloßlegen, die rein nach Interessenlage in die eine oder andere Richtung argumentierten. Im Hessenkrieg konnte man sehen, wie mit allen betrügerischen Mitteln gearbeitet wurde, selbst mit gefälschten Verträgen. Für solche Themen konnte Boineburg das Buch von Tulden als Vorlage benutzen. Und noch ein anderes, das er nannte: den „Parthenius litigosus“, eine umfangreiche Polemik, die 1612 erschienen war und ebenfalls schonungslos Ursachen von Streitigkeiten benennt und systematisiert.

    Schließlich der fünfte und letzte geplante Teil: zum Kriegs- und Friedensrecht. Das war das Stichwort Boineburgs zu seinem großen Heros, dem Niederländer Hugo Grotius, der 1625 das Standardwerk für dieses Feld geschrieben hatte, das Grundbuch des modernen Naturrechts. Für Boineburg war es alles anderes als rein akademische Lehre. Er las dessen Inhalt „mitten im Geschehen der Dinge“ und „unter dem Gewicht der An­wendung“, ja war überzeugt davon, dass gerade die praktische Umsetzung der Ansichten von Grotius deren eigentliche Bedeutung freilege. Reine Theorie kann immer irren.

    Sein eigenes Exemplar ist über und über mit Marginalien bedeckt, und eine solche Art der Lektüre wollte er auch in seinem eigenen Werk empfehlen: „Das Erhabenste und Genaueste bei Rechtsdingen ist es, den Usus von Irrtümern zu kennen und darzulegen, wie er bekannt wird.“ Da ist er, der „usus“: Es ging offenkundig darum, Fehlstellen in ihrem politischen Zusammenhang zu analysieren und ans Licht zu bringen, zur Bildung des politischen Nachwuchses, der lernen sollte, mit Orientierungsbüchern à la Grotius und Tulden in der Hand die Praxis zu verbessern.

    Boineburg wollte Grotius nicht nur praxeologisch, sondern zugleich auch christlich auslegen. In Helmstedt war Georg Calixt sein Lehrer gewesen, der große Theologe, der im Frühchristentum eine Basis für den Konsens zwischen den Konfessionen suchte und dafür von allen Seiten angefeindet wurde. Doch es gab kleine Kreise, zu denen Boineburg und sein Pastorenkollege in Hessen-Braubach, Johann Balthasar Schupp, gehörten, die in dieser Irenik den einzigen Weg in eine neue, verträgliche Sittlichkeit des Zusammenlebens jenseits der endlosen Streitigkeiten sahen. In diesen irenisch gesinnten und Grotius verehrenden Delegationskreisen um Schupp, Salvius und Boineburg, die sich bei den Friedensgesprächen in Münster trafen, ist wohl auch die kleine aufmüpfige, anonyme Schrift „Ineptus religiosus“ entstanden, die zu selbständigem Denken anleiten will und Lessing so gefallen hat. In ihr heißt es: „Um aber von deiner Obrigkeit ein richtiges Urteil fällen zu können, wirst du sehr wohl tun, wenn du von allen ihren Mängeln und Fehlern Nachricht einzuziehen suchst.“ Das war auch Boineburgs Programm.

    Die kleine Schrift fährt aber mit einer burlesken Pointe fort, wie Schupp sie liebte: Nachricht von ihren Fehlern könne man „am besten durch ihre Mägde“ bekommen. „Die sind voll von witzigen Geschichten über Geiz und Boshaftigkeiten ihrer Herrschaften.“ Man sollte sich den Blick der einfachen Leute zu eigen machen, um die Irrtümer der Großen zu erkennen.


    Nota. - Und vor allem eins hat er schon klar erkannt: Wenn selbst das Problem der Hoheit auf vernünftige Weise gelöst wäre, blieben noch immer ihre vielen Tausend subalternen Nutznießer, bei denen Hopfen und Malz verloren sind.
    JE

    Es gibt ihn noch, den Kausalnexus.

                                                               zuJochen Ebmeiers Realien
    aus FAZ.NET, 28. 12. 2022

    In Amerika sterben immer mehr Jugendliche durch Tötungsdelikte. Die Entwicklung geht auch auf die Folgen von Schusswaffengebrauch zurück.

    VON CHRISTIANE HEIL, LOS ANGELES



    Nota. Das obige Bild gehört mir nicht, ich habe es im Internet gefunden. Wenn Sie der Eigentümer sind und seine Verwendung an dieser Stelle nicht wünschen, bitte ich um Nachricht auf diesem Blog. JE

    Montag, 26. Dezember 2022

    Haben Jäger und Sammler das Töpfern erfunden?


    aus spektrum.de, 23. 12. 2022                                                                            zu öffentliche Angelegenheiten

    Nicht Bauern, sondern Jäger und Sammler töpferten als Erste in Europa
    Vor fast 8000 Jahren verbreitete sich eine neue Technologie rasend schnell in Europa: der Kochtopf. Jäger und Sammler waren offenbar auf den Geschmack neuer Speisen gekommen.


    von Karin Schlott

    Als die Menschheit den Kochtopf erfand, war ihr ein technologischer und kulinarischer Fortschritt gelungen: Die Tongefäße waren stabiler und feuerfester als Tierhäute oder Holzbehälter. Und mit dem Topf lernte man womöglich auch neue Methoden der Zubereitung. Nach Europa gelangte das Wissen über die Keramikherstellung mit den ersten Bauern. Und die alteingesessenen Jäger und Sammler übernahmen es von den Einwanderern aus Anatolien. Davon waren Forschende jedenfalls lange Zeit überzeugt. Doch offenbar hatte sich die Idee, aus Ton Gefäße zu brennen und sie zum Kochen zu benutzen, schon Jahrtausende zuvor unter mobilen Wildbeutern verbreitet.

    Zu diesem Schluss kommt ein internationales Team um T. Rowan McLaughlin von der Maynooth University, das die Überreste von 1226 Keramikgefäßen von 156 Fundorten aus Nord- und Osteuropa auswertete. Wie die Wissenschaftlergruppe im Fachmagazin »Nature Human Behaviour« feststellt, breitete sich die Topftechnologie vergleichsweise rasch aus. Vermutlich weil sie von Kulturgruppe zu Kulturgruppe weitergegeben wurde.

    Erstmals haben Menschen in Ostasien Keramik getöpfert und gebrannt. Die ältesten bekannten Tongefäße der Welt entstanden vor rund 20 000 Jahren in Ostchina. Von dort wanderte das Wissen über Sibirien bis nach Europa. Vor mehr als 7900 Jahren tauchten die ersten Tontöpfe nördlich des Kaspischen Meers auf. Anschließend griffen weitere Wildbeutergruppen die Technologie auf. In nur wenigen Jahrhunderten verbreitete sie sich gen Westen bis ins Baltikum.

    Demzufolge war die Idee in einem Zeitraum von 200 bis 300 Jahren über eine Strecke von mehr als 3000 Kilometern gewandert. Das entspricht ungefähr 250 Kilometer je Generation. Damit verlief die Ausbreitung »um ein Vielfaches schneller als beispielsweise die Verbreitung der neolithischen Keramik aus dem Vorderen Orient in den Mittelmeerraum und Westeuropa«, heißt es in der Studie. Ein möglicher Grund dafür: Als die ersten Bauern nach Europa kamen, brachten sie neues Wissen mit, das die Neolithiker stets selbst in neue Regionen einführten. Die Technologien wanderten also mit den Menschen.

    Anders im Fall der europäischen Wildbeuter: »In Hinsicht auf die Ausbreitungsgeschwindigkeit gehen wir davon aus«, schreibt die Forschergruppe um McLaughlin, »dass die Keramikproduktion durch Wissenstransfer über die bestehenden Netzwerke der verstreut lebenden Jäger-Sammler-Gemeinschaften schnell verbreitet wurde«. Möglicherweise tauschten sich die Menschen bei überregionalen Festen aus oder Frauen, die in andere Kulturgruppen einheirateten, brachten die neue Kenntnisse mit.

    Die Forschenden konnten anhand organischer Rückstände an den Tonwandungen das Alter und die Funktion der Töpfe bestimmen. Ungefähr in 75 Prozent der Proben fanden sie Fette von Meeres- und Landtieren, außerdem Reste von Pflanzen. Ob deshalb aber mehr Fleisch und Fisch als pflanzliche Nahrung verspeist wurde, ist nicht sicher, da sich tierische Lipide leichter bestimmen lassen.

    Weitgehend sicher sei aber, dass die Wildbeuter in den Gefäßen Mahlzeiten gekocht hatten. Die Wissenschaftler fanden zudem Hinweise, »dass die Verwendung der Töpferwaren zusammen mit dem Wissen über ihre Herstellung und Dekoration weitergegeben wurde«, sagt Studienautor Carl Heron vom British Museum gemäß einer Pressemitteilung. Womöglich gab es »kulinarische Traditionen, die mit den Objekten« von Mensch zu Mensch gelangten.

    Sonntag, 25. Dezember 2022

    Solidarität ist Eigennutz.

    Es ist besser, heute Kampfpanzer an die Ukraine zu liefern, als sie morgen an der eigenen Grenze einsetzen zu müssen.



    Samstag, 24. Dezember 2022

    Die große Metapher.

     Meister Francke, Auferstehung                                            zu öffentliche Angelegenheiten

    Der selbstherrliche Stammesgott der Juden, der meinte, Alles erschaffen zu haben, hat sich dann doch seiner Geschöpfe erbarmt und zum Christen bekehrt; hat ihre Sünden, die am Ursprung ja seine waren, auf sich genommen, ist selber Mensch geworden und hat sie am Kreuz gesühnt.

    Seither sind die Menschen frei und ohne Schuld.

    Es ist nicht so, aber so müsste es sein: Das ist die stärkste Mythe, die die Menschen je er-sonnen haben, denn es ist die beste.

    Nein, wenn wir täglich die Augen öffnen, ist es nicht so. Darum geschieht es jedes Jahr aufs Neue; sozusagen.


    Donnerstag, 22. Dezember 2022

    Nicht bloß die Zunge.

                                                       zu  Männlich

    Erstmals entdeckt: Schlangen haben eine zweigeteilte Klitoris
    aus derStandard.at, 16. 12. 2022




    ....

    Mittwoch, 21. Dezember 2022

    Ach, schon wieder ChatGPT!


    aus spektrum.de, 19.12.2022                                             zu öffentliche Angelegenheiten

    Was ein Chatbot über unser Denken verrät
    Kann eine künstliche Intelligenz kluge Antworten auf philosophische Fragen geben? Der Philosoph Matthias Warkus ist fasziniert, aber nicht überzeugt. Eine Kolumne.


    von Matthias Warkus

    Wenn Sie sich in den vergangenen Tagen in den sozialen Medien umgesehen haben, dann sind Sie vermutlich nicht daran vorbeigekommen: Screenshots von Texten unterschiedlich-ster Art, denen eine Frage oder Aufforderung wie »Schreibe die Inhaltsangabe einer Liebes-komödie über Weihnachten in Belgien!« voransteht. Es handelt sich hier um die jüngste Welle von automatisch generiertem »Content«, der im Netz Furore macht, produziert von »ChatGPT«, einer interaktiven Oberfläche zu einem Sprachverarbeitungssystem des Silicon-Valley-Unternehmens OpenAI aus San Francisco. ChatGPT benimmt sich wie ein »Chatbot«: Man kann ihm Fragen stellen und ihm Aufgaben aufgeben, und die Software antwortet prompt.roduktion von ChatGPT ist auf eigenartige Weise faszinierend. Die generierten Texte sind nur selten völliger Unsinn, oft aber auf merkwürdige Weise nebulös und unverbindlich, als versuchte jemand, kompetenter zu erscheinen, als er oder sie ist. Das liegt daran, dass die »künstliche Intelligenz« (KI), die hier am Werk ist, grundlegend anders funktioniert, als man es sich noch vor wenigen Jahrzehnten vorgestellt hat. Die Beschäf-tigung damit, wie ChatGPT funktioniert, hat daher durchaus auch philosophischen Wert. Sie stellt nämlich möglicherweise eine sehr verbreitete Grundannahme der philosophischen Auseinandersetzung mit Vernunft und Bewusstsein in Frage: dass es dabei um Repräsen-tation geht.


    Ein bekanntes KI-Projekt der 1980er und 1990er Jahre, »Cyc«, konnte Fragen beantworten; es wurden sogar ganze »Interviews« mit ihm veröffentlicht. Man könnte oberflächlich denken, dass so ein System eine Art früher Vorgänger von ChatGPT war. Es handelte sich aber um etwas völlig anderes. Cyc und vergleichbare Systeme waren im Grunde komplexe Datenbanken, in die Wissen über die Welt eingespeist wurde. Dazu wurden bestimmte Beschreibungsvokabulare und formale Sprachen verwendet. Die Struktur dieser Datenbank und der zu ihrer Befüllung verwendeten Sprachen entsprach der Struktur der Welt – sie stellt Beziehungen dar wie »Günter ist eine Katze«, »Jede Katze ist ein Tier« und »Jedes Tier ist ein Lebewesen«. Man könnte sagen, dass dem System eine Art Abbildung, eine (zumin-dest ausschnittsweise) Repräsentation der Welt vermittelt wurde.

    Es handelt sich um eine ungeheuer komplexe mathematische Abbildungsvorschrift

    ChatGPT funktioniert, wie alle aktuell erfolgreichen KI-Systeme, völlig anders. Es handelt sich dabei vereinfacht gesagt um eine ungeheuer komplexe mathematische Abbildungs-vorschrift, die Zeichenfolgen in andere Zeichenfolgen überführt. Durch »Training« mit einer absurd großen Menge unterschiedlichster Texte ist diese Abbildungsvorschrift in der Lage, Eingabetexte wie Fragen oder Anweisungen in Ausgabetexte zu überführen, die grammatikalisch nahezu perfekt sind, eigentlich immer eine Art Sinn ergeben und häufig – nur eben nicht immer – eine sinnvolle Bearbeitung der gestellten Aufgabe darstellen.

    Dahinter steht aber keine strukturierte Datenbank mit »Weltwissen«. Ich kann ChatGPT zwar fragen, ob es der Meinung ist, dass ein Gegenstand etwas grundsätzlich anderes ist als eine Eigenschaft. Aber ich brauche keine Antwort zu erwarten, die etwas mit der begriff-lichen Struktur seiner Repräsentation der Welt zu tun hat. Selbst wenn ich eine sinnvolle Antwort bekomme, kann ich nirgendwo nachschauen, um zu überprüfen, ob das wirklich so stimmt oder ob es nur Geplapper ist. Andererseits hat das »Geplapper« der KI unbe-streitbar Wissensgehalt, weil sich in ihrer Arbeit das vorherige Training mit mehreren hundert Milliarden Wörtern niederschlägt.

    Wenn das Bewusstsein von uns Menschen (was an sich schon umstritten ist) in irgendeiner Weise ähnlich funktioniert wie Computersysteme, dann legen die Antworten von ChatGPT einerseits nahe, dass wir vielleicht gar keine Repräsentationen von irgendetwas haben müssen, um denken zu können. Es könnte reichen, dass wir selbst nur hochkomplizierte Filter sind, die Eingaben auf Ausgaben abbilden. Andererseits ist es unbestreitbar, dass wir die Fähigkeit haben, uns zu reflektieren und über genau solche Fragen nachzudenken, das heißt: Philosophie zu treiben. Sciencefiction und die moderne Philosophie des Geistes beschäftigen sich mit solchen Fragen, seit es Computer gibt. Wir sind einer Antwort aber noch nicht näher – unter anderem, weil wir nicht wissen, woran wir überhaupt erkennen würden, dass ein KI-System wirklich philosophiert.


    Nota. - Ein (erster?) gravierender Mangel an ChatGPT ist offenbar, dass er nicht hierar-chisch verfasst ist: dass er keine Bedeutungsebenen unterscheidet, von denen eine der andern ihren Platz zuweist. 'Die Erde ist ein Planet' und 'Die Erde dreht sich um die Sonne' sind sinnvoll, sofern ich den einen Satz dem andern unterordne - egal wieviele 'Informatio-nen' sie jeweils enthalten. Beide gleich-gewichtig nebeneinandergestellt würden alle Einzel'-informationen' sinnlos vermengen, so dass aller Quatsch denkbar wäre. 

    Ob der eine dem andern oder der andre dem einen übergeordnet wird, hängt aber nicht von 'der Welt' - wer könnte das sein? - ab, sondern von der Absicht, in der jeweils die Fragen ge-stellt werden. Die nämlich stiften die (logische!) Rangordnung: Der Wissenwollende muss ins System immer hineingedacht werden.
    JE

    Dienstag, 20. Dezember 2022

    We always come back.

                                        zu  Männlich

    Jahrzehntelang verkehrte Welt; nun kehren wir langsam zur Natur zurück.



    Montag, 19. Dezember 2022

    Sich erkennen im Blick der Anderen.

     benin
    aus FAZ.NET, 17. 12. 2022                                                                                                             zuJochen Ebmeiers Realien

    Zum Tod von Fritz Kramer
    Ein Vordenker, dessen bedeutende Rolle für die deutschsprachige Ethnologie erst im Rückblick ganz klar wird: Zum Tod des Ethnologen Fritz Kramer.

    von Karl-Heinz Kohl   

    Über kaum ein anderes akademisches Fach wird in der gegenwärtigen postkolonialen Debatte mehr hergezogen als über die Ethnologie. Dass sie sich in den Dienst des Kolonialismus habe stellen lassen wird ihr nicht weniger zum Vorwurf gemacht als ihr Exotismus. Tatsächlich aber hat sich gerade die deutschsprachige Ethnologie mit beiden Themenkomplexen schon in den 1970er-Jahren kritisch auseinandergesetzt, also schon lange bevor an die heutige Woke-Bewegung mit ihrem radikalen Moralismus überhaupt zu denken war.

    Eine zentrale Rolle hat dabei Fritz Kramer gespielt. 1969 in Heidelberg mit einer noch im konventionellen Stil gehaltenen Dissertation über die mittelamerikanischen Cuna promoviert, trat er 1971 am Ethnologischen Institut der FU Berlin eine Assistentenstelle an. Dass sie gegen den Widerstand des damals einzigen Professors des Instituts mit ihm besetzt wurde, hatte das ehemalige Mitglied des Heidelberger SDS den linken Studenten des gerade erst neu gegründeten Fachbereichs Philosophie und Sozialwissenschaften zu verdanken.

    Erhellungen der Vorgeschichte des Fachs


    Sie wurden nicht enttäuscht. Innerhalb kurzer Zeit gelang Kramer, mit seinen Seminaren zu antikolonialen Heils- und Umsturzbewegungen in Afrika und Asien, zur Widerstandsfähigkeit akephaler segmentärer Gesellschaften und ähnlichen Themen einen immer größeren Kreis um sich zu sammeln. Zu den Besuchern seiner Lehrveranstaltungen gehörten bald nicht nur angehende Ethnologen, sondern auch Soziologen und Politologen, Religionshistoriker und Judaisten. Was die Zahl seiner Anhängerschaft anbelangt, konnte er mit den beiden anderen damaligen Größen des Fachbereichs, Klaus Heinrich und Jakob Taubes, durchaus konkurrieren.

    Mit seiner Habilitation, die 1977 unter dem Titel „Verkehrte Welten“ erschien, wendete er sich dann aber einem ganz anderen Thema zu. In dieser Abhandlung ging es um ihm die Vorgeschichte des von ihm vertretenen Faches, seiner Geburt aus dem romantischen Geist eines Friedrich Creuzer und Johann Gottfried Herder, Johann Jakob Bachofen und Adalbert von Chamisso, die den unermüdlichen Reisenden Adolf Bastian zu seiner Rettungsethnologie, seiner weltweiten Suche nach den Völker- und Elementargedankens der Menschheit bei den sogenannten Naturvölkern inspirierten. Sie lag der von Bastian gegründeten deutschen Völkerkunde zugrunde, und mit ihr beeinflusste er auch Franz Boas, dessen Kulturanthropologie das Fach in den Vereinigten bis heute prägt.

    Die Verbindung zum Exotismus der Künstler

    Kramer beließ es aber nicht allein bei solchen geistesgeschichtlichen Spurensuchen. Sein besonderer Ansatz bestand vor allem darin, dass er die Anfänge seiner Disziplin in ihren zeitgenössischen kulturellen Kontext stellte und zum Exotismus von Künstlern wie Paul Gauguin, Emil Nolde oder Max Pechstein in Beziehung setzte, die zu ihren Reisen in die Südsee in der Absicht aufgebrochen waren, den Zwängen der Zivilisation für immer zu entfliehen. Mit seiner Untersuchung zur „imaginären Ethnographie des 19. Jahrhunderts“ nahm er viele der Theorien und Thesen vorweg, mit denen der palästinensisch-amerikanische Literaturwissenschaftler Edward Said in seinem 1978 veröffentlichten Orientalismus-Buch die Forschungsrichtung der postkolonialen Studien begründete.

    Freilich scheint dieser heute so dominant gewordene Zweig der Kulturwissenschaft mit seiner Kritik am Exotismus auf einem Auge blind. Denn das Phänomen, von fremden Kulturen gleichermaßen fasziniert wie abgestoßen zu sein, ist keine Eigentümlichkeit, die sich nur in Europa findet. In China, Japan oder Indien kann man es ebenso beobachten wie bei den indigenen Völkern Afrikas, Südamerikas oder Ozeaniens. Kramer hat ihr mit seiner vergleichenden Studie „Der rote Fez. Über Besessenheit und Kunst in Afrika“ seine zweite große Pionierarbeit gewidmet.

    Die Kolonialherren nachspielen

    Die Besessenheit von Fremdgeistern erscheint darin als Gegenstück zum europäischen Exotismus. Ein makabres Beispiel ist der von Jean Rouch in „Maîtres fous“ filmisch dokumentierte Hauka-Kult ghanaischer Wanderarbeiter. Die „verrückten Meister“, die sich um die Zubereitung eines geschlachteten Hundes streiten, sind die britischen Kolonialherren, die von den Kultteilnehmern Besitz ergriffen haben. Die Portraitierten können sich in ihnen bestenfalls als Karikaturen wiedererkennen. Doch gerade in diesem Verfremdungseffekt liegt für Kramer die Stärke sowohl der eigenen wie auch der inversen Ethnographie: nämlich uns so zu sehen, wie die anderen uns sehen.

    Kramers Beitrag zur Ethnologie erschöpft sich nicht in diesen beiden Hauptwerken. Einen Namen hat er sich auch als Herausgeber der Werke von Bronislaw Malinowski gemacht. Außerhalb des Faches war der sozialanthropologische Ansatz des Begründers des britischen Funktionalismus in Deutschland bis dahin so gut wie unbekannt, wo die ethnologische Lehrstühle noch bis Ende der frühen 1970er Jahre hinein fast ausschließlich durch Vertreter kulturhistorischer Schulrichtungen besetzt waren.

    Publizist und Professor in Hamburg

    Paradoxerweise war es Kramers hoher Bekanntheitsgrad sowie der ihm immer noch anhängende Ruf, zu den Rebellen von 1968 gehört zu haben, der ihn um den verdienten Erfolg seiner Arbeiten brachte. Das von seinen einstigen Genossen geschmähte „wissenschaftliche Establishment“ scheint ihm wohl beides nie verziehen zu haben. Über eine zeitlich befristete Professur an der Berliner Freien Universität ging seine akademische Karriere im eigenen Fach nie hinaus. Kramer resignierte und war ab 1983 als freier Publizist tätig.

    Wie geschätzt er wegen seiner interdisziplinär ausgerichteten Arbeiten außerhalb des Fachs war, zeigte sich sechs Jahre später, als für ihn auf Anregung eines Regierungsmitglieds der Freien Stadt Hamburg an der dortigen Hochschule der bildenden Künste eine Professur für Ästhetik eingerichtet wurde. Dem eigenen Fach blieb er dennoch treu. Sein letztes veröffentlichtes Buch war das Ergebnis der ethnographischen Feldforschung, die er über die Kultur seiner Hamburger Studierenden in geduldiger teilnehmender Beobachtung über viele Jahre hin betrieben hatte.

    Eine Wirkung, die sich zeigte

    Fritz Kramer war ein Vordenker, der über die vielen Schülerinnen und Schüler, die seine Veranstaltungen besucht haben, die deutschsprachige Ethnologie in den zwei Jahrzehnten vor und nach der Jahrtausendwende entscheidend geprägt hat. Dabei erging es ihm freilich wie vielen der Wissenschaftler, die ihrer Zeit immer einen Schritt voraus waren. Erst in der historischen Retrospektive wird man sich ihrer Bedeutung bewusst. Am 14. Dezember ist Fritz Kramer im Alter von 81 Jahren in Berlin gestorben.


    Nota. -  An die Relativität von Allem kann nur glauben, wer den eignen Blickwinkel für selbstverständlich hält: von allen Absolutismen der gewöhnlichste. Daher die Unfrucht-barkeit des Skeptizismus als Erkenntnislehre.

    In ihrem Eifer, sich und uns den kolonialen Blick auszutreiben, unterzogen die kultur-rebellischen Studenten der sechziger Jahre Alles dem nivellierenden Korsett der Struktur und merkten nicht, wie sie mit der Schmähung des Exotismus aus dem Ästhetischen das Geschmacksurteil vertrieben und alles Fremde um seine Individualität und Persönlichkeit brachten.

    Seither muss man Frobenius & Co. wieder als Bewahrer der Eigenheiten preisen. Es sind nicht alle Kulturen gleichartig oder gleichwertig. Die Eigenheit der Kulturen besteht in den Unterschieden ihrer Wert ordnungen. Man kann sich zu ihnen so stellen oder so. Doch diese ignorieren heißt jene geringschätzen.
    JE

    Sonntag, 18. Dezember 2022

    Wie erlernen Kinder Grammatik?

     bing
    aus derStandard.at, 17. 12. 2022                                                                          zuJochen Ebmeiers Realienzu Philosophierungen 

    Kein Kauderwelsch
    Wie das kindliche Gehirn mühelos komplexe Grammatik lernt
    Die Entwicklung der Sprachfähigkeit von Drei- bis Vierjährigen geht mit der Reifung spezieller Hirnareale einher


    Bereits mit vier Jahren sprechen viele Kinder meist fehlerfrei und greifen dabei auf einen großen Wortschatz zurück. Warum das so ist, haben nun Forschende am Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften herausgefunden.

    Eine Fremdsprache zu lernen ist Knochenarbeit, Vokabeln und Grammatik müssen müh-sam gelernt werden, ehe eine richtige Unterhaltung möglich wird. Umso erstaunlicher ist es, dass sich Kinder ihre Erstsprache scheinbar mühelos aneignen: Schon mit vier Jahren sprechen viele Kinder mehr oder weniger fehlerfrei und mit einem überraschend großen Wortschatz. Wie das kindliche Gehirn das schafft, haben nun Forschende vom Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften (MPI CBS) in Leipzig entschlüsselt.

    Einzelne Wörter tragen zwar die Bedeutung eines Satzes, aber erst die Grammatik setzt die Wörter in Beziehung zueinander und an ihren richtigen Platz. Ein Beispiel zur Illustration: Bei der Aussage "Der Hund der Hase schubsen", in der nur die Grundform der Wörter verwendet wird, würde man wahrscheinlich denken, der Hund schubst den Hasen. Erst wenn grammatikalische Regeln zur Anwendung kommen, wird klar, dass das Gegenteil gemeint ist: "Den Hund schubst der Hase."

    Kinder müssen diese Regeln erst lernen und sie schaffen das, ohne dass ihnen jemand die grammatikalischen Regeln explizit erklärt. "Bis zu ihrem dritten Geburtstag können Kinder zwar schon einfachere Regeln anwenden, aber erst ab dem vierten Lebensjahr fangen sie an, auch kompliziertere Sätze zu verstehen und zu produzieren", sagt Cheslie C. Klein vom MPI CBS. "Mit unserer Studie wollten wir herausfinden, welche Reifungsprozesse im Gehirn mit diesem Meilenstein in der Sprachentwicklung einhergehen."

    Gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen hat sie den grammatikalischen Sprachstand von Kindern zwischen drei und vier Jahren sowohl beim Verstehen als auch beim Sprechen von Sätzen mithilfe unterschiedlicher Sprachspiele untersucht. Neben der Sprachfähigkeit wurde auch ein Bild des Gehirns der Kinder im Magnetresonanztomografen (MRT) aufgenom-men, um den Reifestand bestimmter Hirnareale zu bestimmen. Die Ergebnisse wurden kürzlich im Fachjournal "Cerebral Cortex" veröffentlicht.

    Gereiftes "Sprachnetzwerk"

    Die Forschenden konnten dabei beobachten, dass die Entwicklung der allgemeinen und grammatikalischen Sprachfähigkeit der Kinder mit der Reifung von Hirnstrukturen innerhalb des sogenannten "Sprachnetzwerks" einherging. "Bei Erwachsenen wurde bereits mehrfach gezeigt, dass in diesem Netzwerk verschiedene Hirnareale zusammenarbeiten, um Sprachverständnis und -produktion zu ermöglichen", sagte Klein. "Die Ergebnisse unserer Studie zeigen, dass die Reifung des Sprachnetzwerkes auch den allgemeinen Sprach- und speziell den Grammatikerwerb bei Kindern zwischen drei und vier Jahren unterstützt."

    "Besonders spannend für uns war zu sehen, dass die Reifung einer spezifischen Hirnregion – welche als Kernregion für Grammatik gilt – mit den Grammatikfähigkeiten der vierjäh-rigen Kinder zusammenhing, nicht aber mit jenen der Dreijährigen", ergänzt Koautorin Angela D. Friederici vom MPI CBS.

    Unterstützung durch das Broca-Areal

    Die aktuellen Ergebnisse deuten also darauf hin, dass der entscheidende Meilenstein im Spracherwerb erst durch die Unterstützung des sogenannten Broca-Areals in der Großhirn-rinde bei der Verarbeitung komplexer Grammatik ermöglicht wird. Die Resultate liefern nicht nur neue Einblick in die neuronalen Prozesse, die zu einer erfolgreichen Sprachent-wicklung beitragen, sie ermöglichen laut Friederici auch ein besseres Verständnis für Entwicklungsverzögerungen oder sogar Störungen im Spracherwerb. (red, 14.12.2022)


    Studie

    Cerebral Cortex: "Children’s syntax is supported by the maturation of BA44 at 4 years, but of the posterior STS at 3 years of age." 


    Nota. - Nomina, Verben und Adjektive sind die Qualia, Deklination und Konjugation set-zen sie zu einander ins VerhältnisBedeutung haben sie alle, allerdings von verschiedenen Graden: Die Qualia bedeuten das, was sie bedeuten, auch dann, wenn sie für sich alleine stünden. In ein Verhältnis müssen sie erst gebracht werden (worden sein). Das, was sie ins Verhältnis bringt, ist immer eine Tat: ausgedrückt in einem Verb; einem Zeit wort.

    Kopfnüsse sind die Hilfsverben sein und haben: Beide sind unabhängig von der Zeit. Doch beide haben eine aktive Bedeutung: Sie bestimmen einander, indem sie einander in Abhän-gigkeit setzen. Haben versetzt sie in eine einseitige, sein in eine gegenseitige Abhängigkeit: Gemeint ist immer ein Wirken. Indem ein Satz aus mindestens einem Nomen und einem Verb besteht, unterstellt die Grammatik ein universales Wirkverhältnis. Ohne die kategoriale Prämisse allgemeiner Kausalität ist eine reale Sprache nicht möglich. Sie ist das Apriori von allem Apriori.
    JE




    Aus unserer Intelligenz kann noch was werden.

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