Freitag, 30. September 2022

Die Frühzeit des Kupferstichs im Städel.

aus FAZ.NET, 29. 9. 2022                                                                   Noch Surrealisten wie Dalí und Ernst kopierten aus Schongauers „Antonius, von Dämonen gepeinigt“ von  1470.                                                                                                           zu Geschmackssachen

Wo Künstler über Jahrhunderte grüßen
Schwarzweißfernsehen auf Papier: Eine Schau im Frankfurter Städel geht der unterbeleuchteten Frühgeschichte des Kupferstichs bis Dürer nach.

von Stefan Trinks

Wahrscheinlich hat der nun in Rente gehende langjährige Kurator des Kupferstichkabinetts Frankfurt, Martin Sonnabend, recht mit seiner Vermutung, dass die Technik des Kupfer-stichs bald ihren sechshundertsten Geburtstag feiern kann. Wohl schon um 1430 erfunden, revolutionierte die in Kupferplatten gegrabene und zu Hunderten vervielfältigte Linien-Tiefdrucktechnik in mehrerlei Hinsicht die Kunst. Ein einmal – zugegebenermaßen aufwendig – graviertes Bild konnte nun massenhaft reproduziert werden und so papierdünn wie federleicht zu wohlfeilen Preisen in alle Welt versandt werden.

Eine der frühen Aufgaben des Kupferstichs waren Spielkarten: „Vogel-Zwei“ von Meister ES (tätig um 1440/1450–um 1467) aus dem „Größeren Kartenspiel“, um 1463–1467


Soziologisch entstammen die Metallgraviermeister häufig dem Metier der Goldschmiede, historisch stößt die neue Kunst auf Papier deshalb auf riesige Nachfrage, weil inzwischen die sogenannte Devotio moderna die traditionelle Verehrung von Heiligen und der Muttergottes ausschließlich in Kirchen abgelöst hat. Im privaten Rahmen ist es ab 1400 völlig üblich, sich eines der kleinen Papierkunstwerke als – oft teilkoloriertes – Andachtsbild an die Wand zu hängen, in ein Buch einzulegen oder gar stets mit sich zu tragen. Zweitens bilden die im Vergleich zur mühseligen und erheblich teureren Ölmalerei wesentlich freieren Papierminiaturen auch die ersten Genredarstellungen, die das zeigen, was ein reiches städtisches Bürgertum sehen wollte: Wimmelbilder mit zahllosen verspielten Details der Habseligkeiten der Interieurs, die sich nicht auf den ersten Blick „leersehen“, sondern über mehrere Runden hinweg gepflegte Konversationsstücke zum Herumreichen in humanistischen Diskussionen wie auch zünftigen Zechereien bilden.

Man riecht es duften: Martin Schongauers „Weihrauchfass“.


Und drittens sind die meist im Bogenformat verbleibenden, also kleinformatigen Werke, Gebrauchsbilder im Wortsinn – viele von ihnen waren Vorlagen in Werkstätten für Gesellen, weshalb die Masse von ihnen auch nicht überlebt hat. Dem dritten Städel-Inspektor Johann David Passavant gelang es, Hauptwerke des Kupferstichs in den zwanzig Jahren seiner Tätigkeit anzukaufen, die nun in der Ausstellung des Frankfurter Kupferstichkabinetts „Vor Dürer. Kupferstich wird Kunst“ zu sehen und teils nur in zwei oder drei Exemplaren erhalten sind, teils sogar weltweit Unikate darstellen.

Mein lieber Freund und Kupferstecher


Ebenfalls pragmatisch ökonomische Gründe hat die Entwicklung von Monogrammen im fünfzehnten Jahrhundert. Nicht erst Dürer signiert ab 1500 mit seinem AD aufgrund der massenhaften portugiesischen Raubkopien seiner Grafiken; schon sein großes Vorbild Martin Schongauer in Colmar und weitere große Meister der Schwarzen Kunst wie ES, FVB, PM, W oder IM (Israhel van Meckenem) verkürzten ihre Namen. Die als Vorlagen vervielfältigten Werke sollten mit ihrem Urheber verbunden bleiben, um die Hemmschwelle des Kopierens zu vergrößern. Die Ironie dabei ist, dass damals bekannte Größen heute nur noch mit ihren anonymen Initialen bekannt sind und man selbst einem der größten unter den frühen Kupferstechern, dem „Meister ES“, keinen realen Namen mehr zuordnen kann. Da es aber schwierig ist, Schrift seitenverkehrt für das Drucken in das Kupfer zu gravieren, lag es arbeitsökonomisch nahe, den Namen auf zwei, maximal drei Buchstaben zu schrumpfen. Eine weitere Ironie bildet der Fakt, dass IM Israhel van Meckenem, mit über siebenhundert Kupferstichen einer der fleißigsten seines Metiers, vor allem mit Nachstichen wie Schongauers Weihrauchfass und Bischofskrümme berühmt wurde, wobei er letztere durch noch mehr Prunk übertraf.

Israhel van Meckenems (ca. 1440/1445–1503) nach der Vorlage des Hausbuchmeisters gestochener „Kampf zweier Wilder Männer zu Pferde“, um 1480

Die Stammeltern als technische Herausforderung.

Auftakt wie auch logisches Ende der Schau bildet Dürer mit seinem Kupferstich „Adam und Eva“ von 1504. Er zählt nicht von ungefähr zu den vier „Meisterstichen“ des Künstlers, weil er im Grad der Beherrschung der Technik sämtliche Herausforderungen bündelt. Denn was Dürer in seinem Meisterstich vorführt, ist die meisterliche Beherrschung der Imitation der gesamten belebten und unbelebten Welt. Er vermag die Natur vollgültig nachzustellen. Alle Oberflächen, sei es das Katzenfell oder die Haut der beiden Nackten, sind berührungswürdig, Proportionen und Anatomie von Mensch und Tier ohnehin. Dabei ist die Technik des Kupferstichs als Strukturierung von schwarzen Linienmustern zu weißen Papierflächen eine überaus abstrakte, denn um die dreidimensionale Plastizität der Körper zu erzeugen braucht es neben den Konturlinien auch stimmig „impressionistische“ Schraffuren und Oberflächenstrukturen. Das nackte Stammelternpaar scheint von der gesamten Tierwelt umgeben, anders aber als bei Noah und seiner Arche zeigt Dürer die Tiere nicht paarweise, vielmehr als Konterparte: die fette Katze, die bereits viele Mäuse im Magen zu verdauen scheint, postiert er lauernd gegenüber einer weiteren Maus. Mit ihrem Schwanz umwindet die Katze das Bein der Eva wie die Schlange der Versuchung den Baum.

anz zwischen Bändern: Israhel van Meckenems „Der Gaukler und die Frau“ aus der Folge des Alltagslebens, um 1490.


Obwohl vor dem Sündenfall noch Frieden herrschen sollte unter den Tieren, wirkt es, als wolle Dürer mit dem gespannten Auflauern der Tiere andeuten, dass alles nur auf den Startschuss des lapsus humani generis wartet. Einzig der Steinbock auf dem Felsvorsprung weit hinten ist für sich und blickt friedlich in die Natur. Er ist ein direktes Zitat des Stichs „Versuchung Christi“ des LCz (lange für den Bamberger Lorenz Catzheimer gehalten), der Dürer in Nürnberg vielfach inspiriert hat. Solches Grüßen der Künstler über die Jahrhunderte hinweg kann nur ein außergewöhnlich reicher Bestand wie jener des Frankfurter Kupferstichkabinetts aufzeigen.

Der muskulöse Stammvater ist der antike Apoll von Belvedere, die Eva eine umgewandelte römische Venus: Albrecht Dürers Meisterstich „Adam und Eva“ von 1504.


Am fesselndsten ist dieses Reisen von Formen über Städte und Länder hinaus auf dem größten bildmäßigen Kupferstich des fünfzehnten Jahrhunderts, Schongauers Kreuztragung: Filmisch rollt sich der Horrortrupp vom wüstenheiß grell überblendeten Jerusalem rechts im Tal hin zu der grau verschatteten Schädelstätte Golgotha ab. Exakt über Christi Haupt, der an einer Felsstufe stürzte, verfinstert sich der Himmel. Fast zweihundert Jahre später greift Rembrandt die dramatische Lichtregie in seiner wichtigsten Grafik, dem Hundertguldenblatt der Kreuzigung auf. Der besondere Stolz seiner Grafiksammlung waren: Schongauers Stiche.

Vor Dürer. Kupferstich wird Kunst. Städel, Frankfurt; bis 22. Januar 2023. Der Katalog kostet im Museum 39,90 Euro. 

 Nota. - Weil uns eine schwarz-weiß gedruckte Zeitung gewöhnlicher vorkommt als ein Kunstband in Kupfertiefdruck und weil wir selber zuerst mit einem Linien ziehenden einfarbigen Stift gekritzelt haben, erscheint uns die Zeichnung als die elementarste Form der bildlichen Darstellung. Im Kunstunterricht erfährt man vielleicht zwar, dass Die Linie erst in der Renaissance zu Rang und Würden gekommen ist. Aber dass dem Normalmen-schen zuvor die Linie nicht einmal als ein ästhetischer Grundbaustein aufgefallen ist, liegt daran, dass es sich um eine gewaltige Abstraktionsleistung handelte, als Schwarzweiß-Zeichnungen nicht mehr, wie zuvor, von den Malern als bloße Vorarbeiten für Öl- und Tempera-Bilder, sondern von einem größeren Publikum als eigene Kunstwerke wahrge-nommen (und erworben) wurden.

Dass war das Verdienst einer technischen Errungenschaft - des Kupferstichs. Ab einem bestimmten Punkt ist die Vereinfachung die höhere Kunst als die Perfektion. In der chine-sischen Kunst ist das vor Ewigkeiten bemerkt worden, und die brauchten dafür nicht einmal den Umweg über Wand- und Tafelbilder. 
JE

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