Montag, 3. Oktober 2022

Noch einmal: Donatello in Berlin.


aus nzz.ch, 2. 10. 2022

Donatello verband klassische Sinnlichkeit mit christlicher Moral und Humanismus
Die Berliner Gemäldegalerie feiert den Florentiner Meister. Im Fokus der Ausstellung steht sein Einfluss auf die Entwicklung der gesamten Kunst der Renaissance
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von Franz Zelger

Er ist allgegenwärtig in Florenz, in den Kirchen Santa Croce, San Lorenzo und Orsanmichele, im Palazzo Vecchio, in der Skulpturensammlung Bargello oder im Dom-Museum. Schon zu Lebzeiten genoss Donatello (1386–1466) als vielbeschäftigter Bildhauer weit über die Kulturmetropole am Arno hinaus hohes Ansehen. Auftraggeber aus ganz Italien bemühten sich um seine Werke, unter ihnen Cosimo de’ Medici und Papst Eugenius IV. Seine Spuren lassen sich in Siena, Neapel, Prato und Venedig verfolgen.

In Padua kommmen Touristen und Kunstinteressierte nicht an diesem Erneuerer vorbei: In der Basilika San Antonio, einem der meistbesuchten Heiligtümer Italiens, stehen sie Schlange, um seine dort aufgestellten Skulpturen zu bewundern. Die Piazza del Santo vor der Kirche wird beherrscht von dem in den 1440er Jahren entstandenen Denkmal des Condottiere Erasmo da Narni, genannt Gattamelata. Dabei handelt es sich um die erste freistehende Reiterstatue seit dem Standbild des römischen Kaisers Marc Aurel, der im Gegensatz zum realistisch erfassten venezianischen Söldnerführer als Potentat überlebensgross wiedergegeben ist.

Donatellos Spuren führen aber auch bis ins Londoner Victoria and Albert Museum oder in die Staatlichen Museen zu Berlin. Im Fokus der Ausstellung «Donatello. Erfinder der Renaissance» in der Berliner Gemäldegalerie steht neben der Vielschichtigkeit des Werks vor allem sein Einfluss auf die Entwicklung der gesamten Kunst der Renaissance, nicht zuletzt auch auf die Malerei. Zuvor noch nie gemeinsam gezeigte Skulpturen und Reliefs aus Marmor, Bronze und Terrakotta machen diese Schau zu einem Höhenweg.

Nicht nur lebte Donatello in einem Zeitalter einschneidender Erneuerungen. Er war selbst ein Bahnbrecher von erstaunlichem Erfindungsreichtum, wobei er der Kunst Impulse verliehen hat, die selbst für Michelangelo von Bedeutung waren. Er kenne kein Bild eines Menschen, bemerkte dieser nach Vasaris Überlieferung, das mehr Vertrauen erwecke als Donatellos «Markus». Wenn nämlich der Heilige so ausgesehen habe, wie ihn der Bildhauer darstelle, könne man dem Evangelisten glauben, was er in seinen Schriften festgehalten habe. Damit macht Michelangelo die Glaubwürdigkeit der Markus-Darstellung zum Kriterium ihres künstlerischen Ranges.

Donatello war der bedeutendste und vielseitigste Bildhauer der italienischen Frührenaissance. Im Gegensatz zum «weichen Stil» der höfischen Trecento-Kunst ging es ihm um greifbare Wirklichkeit, Unmittelbarkeit und individuellen Ausdruck. Er zögerte nicht, bei den tanzenden und singenden Mädchen und Knaben auf der berühmten Sängertribüne im Florentiner Dom die Mundstellungen ungeschönt so wiederzugeben, wie sie bei singenden Menschen erscheinen. Oder wie er das mittelalterliche Ideal ritterlicher Kraft im Dienst des Glaubens in der Gestalt des heiligen Georg in Orsanmichele zur Anschauung brachte: Energiegeladen bis zu der sich kräuselnden Stirn, steht die Figur in ihrer Nische, bereit zum Kampf mit dem Drachen.

Maria mit dem Kind (Pazzi-Madonna), um 1422.

Sein Realismus manifestiert sich besonders ausgeprägt in der hölzernen, farbig gefassten «Maria Magdalena» von 1453/55, bei der die Hinfälligkeit von Körper und Gesicht schonungslos wiedergegeben ist. Kaum ein Bildhauer hatte sich bis dahin in der Darstellung körperlichen Zerfalls so weit vorgewagt. Als hässliche, abgemagerte und ausgemergelte Gestalt negiert sie die «Angemessenheit» («convenientia»), die für jede Verbildlichung eines Heiligen galt. Dass diese Plastik kaum als anstössig empfunden wurde, lässt sich wohl mit den brutalen Busspraktiken jener Zeit erklären.

Donato di Niccolò di Betto Bardi, genannt Donatello, ist von 1404 bis 1407 unter den Mitarbeitern und Gehilfen der Werkstatt des Goldschmieds Lorenzo Ghiberti dokumentiert. Dieser hatte gerade den Auftrag erhalten, die beiden Flügel einer Bronzetüre des Florentiner Baptisteriums anzufertigen, eine Arbeit, die für Donatello richtungsweisend war, zumal in Bezug auf den Umgang mit Bronze.

Obwohl sich der Bildhauer von Ghibertis Formenwelt inspirieren liess, ging er schon bald seinen eigenen Weg in Richtung Realismus. Nachdem er die Werkstatt des Lehrmeisters verlassen hatte, arbeitete er an zwei wichtigen Aufträgen, einem Evangelisten Johannes, der für die Fassade des Florentiner Doms bestimmt war, und einer fast zwei Meter hohen Marmorskulptur des David, die dort auf einem Strebepfeiler der Chortribüne stehen sollte. Doch durch ihre hohe Platzierung verlor die Gestalt an Wirkung. Bald wurde sie eingelagert. Heute befindet sie sich im Bargello. Diesem Meisterwerk von 1409 blieb somit der Erfolg versagt.


Donatello & Michelozzo, Tanzende Spiritelli, von der Außenkanzel des Doms zu Prato, 1434–38

Anders der für die Betrachtung aus der Nähe bestimmte Bronze-DavidDonatellos Förderer Cosimo de’ Medici, Staatsmann, Bankier und Mäzen, der die Politik von Florenz jahrzehntelang lenkte und wesentlich dessen kulturellen Aufschwung förderte, gab ihn dem Künstler um 1435/40 in Auftrag. Als früheste freistehende Aktfigur nach der Antike gehört der junge grazile Held zu den bedeutendsten Skulpturen der italienischen Renaissance. Der knabenhafte Körper hat schon Vasari vermuten lassen, die von erotisierter Eleganz geprägte Gestalt sei nach einem lebenden Modell geformt. Es erstaunt nicht, dass ihre androgyne Aura auch andere Künstler inspiriert hat, so Andrea del Verrocchio, der ebenfalls einen Bronze-David schuf, Sandro Botticelli, dessen Merkur in seiner «Primavera»-Ikone Donatellos Skulptur zitiert, oder Giorgione in dessen Judith.

Vielseitiger Neuerer

In der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts gab es nur wenige Bildhauer, die sich so sehr für den Gefühlsausdruck interessierten wie Donatello. Seine Entwicklung spiegelt sich besonders deutlich in den Madonnen-Darstellungen. In den Frühwerken mimisch noch weitgehend emotionslos, wurden sie zunehmend gefühlvoller, bis hin zur zarten Melancholie im Relief der «Pazzi-Madonna» von 1422, eines Juwels der italienischen Renaissance. Maria hält ihren Sohn umfangen und schmiegt ihr Gesicht an seines. Die von Innigkeit geprägte Komposition hatte zahlreiche Repliken in der Bildhauerei wie in der Malerei zur Folge.  [s. o.].

Donatello war nicht nur ikonografisch ein Neuerer, indem er seine Madonnen in subtilen Nuancierungen vermenschlichte, er zeichnete sich ebenso durch Experimente technischer Natur aus, sei es bei der Perspektivkonstruktion oder dem Stiacciato. Darüber hinaus war er einer der Ersten, die ab den 1420er Jahren das antike Sarkophag-Motiv der nackten geflügelten Kinder, Spiritelli genannt, wiederbelebten. Er eignete sich dieses heidnische Motiv der «kleinen Geister» im übermütigen, ausgelassenen Tanz auf der Aussenkanzel des Doms von Prato sowie auf der Sängertribüne im Florentiner Dom an.

Auch durch die Breite seines Arbeitsmaterials nimmt Donatello eine Sonderstellung unter den Renaissance-Bildhauern ein: Holz, Sandstein, Marmor, Bronze, Terrakotta – Letztgenannte hatte er als aus der Antike übernommenes künstlerisches Material in der Werkstatt Ghibertis kennengelernt. Dabei ist technische Virtuosität bei Donatello nie ohne Funktion. Sie steht, unabhängig von der Technik, stets im Dienst der Emotionen.

In der Berliner Schau treten Werke Donatellos in einen Dialog mit Gemälden von Zeitgenossen wie Masaccio, Filippo Lippi oder Andrea Mantegna. Lippi, Fra Angelico und Domenico Veneziano rekurrierten unverkennbar auf Donatellos in den 1420er und 1430er Jahren entstandene Flachreliefs. Augenfällig ist das Vorbild Donatellos, primär seines Gewandstils, in Masaccios Polyptychon für die Karmeliterkirche in Pisa. Auch dessen vier Berliner Heiligenfiguren gemahnen trotz dem kleineren Format in ihrer Monumentalität und würdevollen Schwere an Donatellos freistehende Skulpturen für Orsanmichele und den Campanile des Doms. Und Masaccios Predellentafeln lassen an Donatellos subtilen Reliefstil denken. Auch Giovanni Bellini hat ihm zum Beispiel in seinem «Toten Christus von Engeln gestützt» die Reverenz erwiesen.

«Die Geschichte Donatellos ist zugleich eine Geschichte der Renaissance», heisst es in der Ankündigung der Berliner Gemäldegalerie für die herausragende Schau, die diskret, subtil didaktisch und ästhetisch reizvoll inszeniert ist. Der Florentiner, der klassische Sinnlichkeit mit christlicher Moral und Humanismus verband, war nicht der Erfinder der Renaissance, aber er folgte dem Entdeckungsdrang, der eines der wichtigsten Merkmale der Epoche war. Und er hat diesen entscheidend vorangetrieben.

Durch die Wiederbelebung antiker Motive und Gestaltungsweisen war er massgeblich daran beteiligt, dass diese Epoche die Bezeichnung Renaissance erhielt. Wegweisend waren seine individualisierten, lebensnahen Figuren, neue Themen, die er einführte, unterschiedliche Techniken, die er weiterentwickelte, die perspektivische Darstellung und die emotionale Ausdruckskraft. Seine Werke spiegeln letztlich ein neues Bild der Welt.


Donatello, Erfinder der Renaissance. Staatliche Museen zu Berlin, Gemäldegalerie, in Kooperation mit der Fondazione Strozzi und den Musei del Bargello, Florenz, sowie dem Victoria and Albert Museum. Bis 8. Januar 2023, anschliessend im Victoria and Albert Museum, London. Katalog E.-A.-Seemann-Verlag, Leipzig 2022, 344 S., zahlreiche Farbtafeln.


Nota. - Schönheit und Natürlichkeit benennt Giorgio Vasari als das Wesen des von ihm so getauften rinascimento. So besehen ist es nicht falsch, statt Giotto oder gar Cimabue Donatello als Begründer des Renaissance zu feiern. Denn Wiedergeburt wovon? Der griechischen Klassik ja wohl. Da war Donatellos Bronze-David allerdings ein Paukenschlag.
JE

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