zu GeschmackssachenVorab: Kunst bedarf keiner Rechtfertigung. Wer malt und musiziert, bedarf nieman-des Erlaubnis oder auch nur Duldung; nicht, solange er niemanden in seiner Privat-sphäre berührt.Wer aber 'Kunst macht', tut es eo ipso nicht für sich, sondern für ein - und sei es virtuelles - Publikum. Den Unterschied macht die Distanz. Auch ein Maler ganz sich rein anschaulich in eine Szene verlieren und seinen Pinsel ganz dem Anblick überantlassen. Sobald er aber malt, um es zu zeigen, braucht er schon für sich selbst einen vertretbaren Grund. Dass die ästhetische Qualität selber ein hinreichendes Motiv sei, hat sich im neunzehnten Jahrhundert zumindest in der Avantgarde durchgesetzt, die es seither überhaupt erst gibt.
Das Ästhetische ist Sache des Geschmacks. Die Währung, die in Geschmacksdin-gen gilt, ist das Gefallen. Gefallen hat einen Fluchtpunkt, auf den alle seine Urteile ausgerichtet sind: Das Schöne. Sein Gegenteil ist nicht, wie man meinen könnte, das Hässliche, sondern das Unansehliche, Gewöhnliche und Langweilige. Dem gegen-über hat das Hässliche durchaus Relief und kann in mannigfaltiger Weise zum Schönen in Kontrast gestzt werden und Gefallen finden.
Es ist eine Frage des Verhältnisses. Und dies, weil es im menschliehen Bereich nicht nur Schönheit, sondern viel mehr Hässliches gibt. Schönheit ist keine Sache von all-täglichen Verrichtungen. Schönheit bedarf der Reflexion. Nicht in dem Sinne, dass sie es sei, "die Schönheit schafft". Sondern in dem Sinne, dass es eines Willensakts bedarf, um sich vom Alltagsgeschäft los zu reißen und zu zweckfreiem Betrachten zusammen zu raffen: dass er sich willentlich in den ästhetische Zustand versetzt.
Der Künstler, dem das bewusst ist, darf einem - ihm in der Regel nicht vorab be-kannten - Publikum ruhig ein bisschen was zumuten, und ein Publikum, dem er bekannt ist, wartet sogar darauf.
Sind Julian Freuds fette Fleischberge ästhetische Phänomene, die es wert sind, der Öffentlichkeit vorgeführt zu werden? Hässlichkeit ist wie Schönheit ein ästhetisches Datum, es fragt sich nur, wie erheblich es ist. Nachdem die Kunst sich eine längere Zeit - meist mehr aus ideologischen als ästhetischen Motiven - darauf konzentriert hat, Hässliches darzubieten, kann sie sich zum Beispiel darauf konzentrieren, im un-erheblich-Gewöhnlichen Schönheiten aufzusuchen. Hässlich ist im Alltag so viel Mehr als schön, dass es nicht eben erheblich wirkt und als solches dargestellt zu werden verdient.
Dass in der europäischen Kunst seit den fünfziger Jahren das Wohlgestalte über-wogen hätte, kann man nicht sagen, und man musste sich nicht genötigt finden, dagegen anzuschrillen. Dass Freud nie aufgehört hat, gegenständich und gar fi-gürlich zu malen, war antizyklisch genug. Sein Freund Francis Bacon hatte es vor-gemacht, doch gegen den musste er sich behaupten. Für einen Künstler ein ver-ständliches Motiv, aber rein privat und jedenfalls nicht ästhetisch.
Es ist hier wohlverstanden nicht die Frage, ob Freud das durfte. Das ist sowieso keine ästhetische Frage. Die ist vielmehr, ob es erheblich genug ist, dass ich mich aufgefordert fühlen müsste, mich damit 'auseinanderzusetzen', auch wenn es mir nicht gefällt. Das tut es nämlich nicht.
Das ist die öffentlich bekannte Seite von Freuds Malerei. Viel weniger bekannt, aber wohl nicht we-niger an der Zahl, sind seine Landschaften und "Pflanzen- und Blumenporträts". In der Machart sind sie kaum weniger pingelig-genau als die Aktbilder, aber gehören in eine andere Welt. Es ist die altbe-kannte Schönheit im Kleinen und nicht Zauber des Hässlichen. Es ist stille Anschauung und ganz und gar nichts Besonderes. Mir gefällt es gut, und für meinen Geschmack ist es Kunst genug. Aber natür-lich war es nicht das, womit er seine künstlerische Stellung behauptet hat. Ich schmeichle mir mit der Vorstellung, er habe es gemalt, um sich von den Scheußlichkeiten zu erholen.
JE
